EKD-Ratsvorsitzender Huber verlangt gerechte Reformen

Zustimmung von Regierung und Opposition

Von Bettina Markmeyer

Berlin (epd). Nach dem als «Sozialrede» angekündigten Vortrag des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, am Donnerstagabend in Berlin fühlten sich Regierung und Opposition bestätigt. Kanzleramtschef Frank Steinmeier sprach von einer «fairen Rede». Er sei nicht mit der Erwartung in die Französische Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt gekommen, «ein Loblied auf die Agenda 2010 zu hören», verlasse die Kirche aber mit dem Eindruck, Unterstützung für die Sozialreformen erhalten zu haben.

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Wolfgang Schäuble (CDU), begrüßte, dass Huber die Familienpolitik als eine Kernaufgabe beeichnet habe. «Aus der Seele gesprochen» habe ihm die Klarstellung des Bischofs, Förderung von Familien dürfe nicht «als Bestrafung von Kinderlosen» missverstanden werden.

Huber hatte gesagt: «Wir müssen den Sozialstaat zukunftsfest machen, wenn wir unserer Verantwortung für die nach uns kommende Generation gerecht werden wollen». Zugleich räumte er ein, auch in seiner Kirche seien die Herausforderungen durch die Alterung der Gesellschaft zu spät thematisiert worden. Umso dringlicher müsse sie nun Akteure und Betroffene ermutigen: «Wir widerstehen dem Kleinglauben, dass unsere Gesellschaft nicht fähig ist zur Reform.»

Der Auftritt des Bischofs rund 200 Zuhörern aus Politik und Gesellschaft fügt sich in Bemühungen beider Kirchen, ihr gemeinsames «Sozialwort» von 1997 fortzuschreiben. Ebenfalls in Berlin hatte Anfang 2003 Hubers Vorgänger an der Spitze der EKD, Präses Manfred Kock, eine Rede mit «Mut zu Reformen» überschrieben und die eigene Klientel aufgeschreckt mit der Forderung, jeder einzelne müsse sich künftig mehr einschränken.

Die katholischen Bischöfe stießen mit ihrer Schrift «Das Soziale neu denken» Ende 2003 ebenfalls auf Widerstand. Sie hätten ihren Segen zum Sozialabbau gegeben, hieß es bis hinein in die eigenen Reihen. Huber würdigte das Katholiken-Papier indes «als Plädoyer für eine langfristig angelegte Reformpolitik».

Ein solches Plädoyer für eine Reform «um der Menschen willen» - so der Titel seiner Rede - hat der EKD-Ratsvorsitzende und Bischof von Berlin-Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz nun auch selbst gehalten. Mit Kritik an der Realität sparte er dabei nicht: «Wer die Abfindungen für entlassene Vorstandsmitglieder von Großkonzernen mit der Mindestwitwenrente oder dem Arbeitslosengeld II vergleicht, muss fragen, welche Unterschiede unsere Gesellschaft akzeptieren will.» Die einen vererbten große Vermögen, die anderen Bildungsdefizite.

Um die gegenwärtigen Reformen gerechter zu machen, verlangte Huber eine stärkere Belastung der Reichen, eine neue Debatte um Erbschafts- und Vermögenssteuer, eine grundlegende Steuerreform, kostenlose Kindergärten, Zuverdienstmöglichkeiten für Arbeitslose, die nicht «kleinlich» ausfallen dürften und mehr Schutz für die Alterssicherung der kleinen Leute.

Das hat Huber schon an anderer Stelle und bei anderen Gelegenheiten gesagt. In der Friedrichstadtkirche, in der vor gut zwei Jahren auch der Bericht der Hartz-Kommission vorgestellt worden war, ging es ihm vorrangig um die langfristige Perspektive, die Positionsbestimmung der EKD und einen «energischen Versuch, dem Wort Reform seine Negativaura zu nehmen», wie es der Hauptstadt-Vertreter der EKD, Stephan Reimers, formulierte.

Dies werde nur gelingen, mahnte Huber, wenn die Politik die Kritik aus der Bevölkerung ernster nehme, die Menschen besser informiere und den Mut habe, falsche Reformschritte zu korrigieren: «Wir müssen Korrekturen als Zeichen von Stärke und nicht von Schwäche begreifen.» Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) schienen die Worte des Kirchenmanns zu gefallen: «Wenn ein Bischof nur abstrakt redet, dann ist es folgenlos. Wichtiger ist, dass eine solche Rede in die Gesellschaft hineinwirkt.»

Huber hat die Reformdebatte nach Auffassung der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden Ursula Engelen-Kefer in die richtige Richtung gelenkt. Auch die Gewerkschaften sähen die Notwendigkeit sinnvoller Reformen der sozialen Sicherungssysteme, erklärte sie. Es komme dabei aber auf die soziale Balance sowie die Perspektive für mehr Beschäftigung und Ausbildung an. Genau das vermissten heute viele Menschen.

01. Oktober 2004