Bischof Huber fordert mehr Ausgewogenheit bei Sozialreformen

Hamburg (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, hat mehr Ausgewogenheit und Glaubwürdigkeit bei den Sozialreformen gefordert. «Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Mut zu Reformen», sagte der Berliner Bischof in einem Interview des Hamburger Magazins «Der Spiegel». Der Sozialstaat müsse zukunftsfähig gemacht werden. Dies bringe schmerzliche Einschnitte mit sich. «Aber Härten müssen abgemildert und der Übergang muss menschenfreundlich gestaltet werden», verlangte Huber.

Der EKD-Ratsvorsitzende mahnte insbesondere bei der Arbeitsmarktreform Hartz IV mehr Flexibilität bei der Anrechnung der individuellen Altervorsorge an. Es sei unsensibel, dass jemand, der vor 1948 geboren ist, doppelt so viel anrechnen könne wie ein Jüngerer. Der Theologe kritisierte zugleich die Beschneidung von Zuverdienstmöglichkeiten bei Arbeitslosen. Die bisherigen Empfänger von Arbeitslosenhilfe sollen künftig nur noch 60 Euro pro Monat aus 400-Euro-Jobs behalten dürfen. «Ich appelliere dringend, diese Regelung zu ändern», sagte Huber.

Die größten Sorgen machen nach den Worten Hubers die Auswirkungen der Sozialreformen auf ältere Langzeitarbeitslose. «Diese Menschen fühlen sich in ihrer Biografie, die ja mit dem langen Einzahlen in die Sozialversicherungen und in der Regel unverschuldeter Arbeitslosigkeit verbunden ist, bestraft», sagte der Bischof.

Huber äußerte Verständnis für die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV: «Dass die Menschen auf die Straße gehen, ist vollkommen legitim.» Anders als 1989 in der DDR gehe es aber nicht um einen Aufstand gegen ein undemokratisches System, sondern um eine Reformdebatte innerhalb der Demokratie. Huber mahnte mehr Glaubwürdigkeit in Wirtschaft und Politik an, damit der Reformprozess gelingt.

Der EKD-Ratsvorsitzende sprach von einer großen Diskrepanz in einer Welt, «in der sich auf der einen Seite Vorstände großer Konzerne verschwören, ihre Bezüge geheim zu halten», während ältere Arbeitslose den letzten Cent ihres Lebensversicherungsbetrags offen legen müssten. Die aktuellen Einschnitte dürften nicht mit einer steuerlichen Entlastung der Wohlhabenden kombiniert werden. «Ich wehre mich gegen eine weitere Entlastung der Spitzensteuerzahler», sagte Huber.

Nach seinen Worten hat die Kirche bereits schmerzlich die Folgen von Steuerreformen auf ihre Finanzsituation erlebt. An einer bestimmten Stelle müsse mit der Verlagerung von den direkten Lohn- und Einkommenssteuern auf indirekte Verbrauchssteuern Schluss sein. «Aus Gründen der Gerechtigkeit, aber auch, um die Handlungsfähigkeit der Kirchen nicht weiter zu beeinträchtigen», so Huber.

16. August 2004