Käßmann: Vatikan-Papier ist "verpasste Chance"

Köln/Bensheim (epd). Die hannoversche Bischöfin Margot Käßmann hat das Vatikan-Dokument zur Rolle der Frau als «tieftrauriges Stück Papier» kritisiert. Das Schreiben der Glaubenskongregation enthalte Klischees und Feindbilder, sagte Käßmann dem «Kölner Stadt-Anzeiger» (Dienstags-Ausgabe). Es mache sie «schlicht fassungslos, wie der Vatikan hier von den Frauen und der feministischen Bewegung spricht».Von evangelischen Ökumene-Experten wurde das am Wochenende vorgestellte Vatikan-Papier mit Zurückhaltung aufgenommen.

Das von dem deutschen Kurienkardinal Joseph Ratzinger unterzeichnete Dokument sei «eine verpasste Chance», sagte Käßmann der Zeitung zufolge. Der Vorwurf Roms, der Feminismus wolle die Unterschiede von Mann und Frau beseitigen, sei «schlicht Unfug». Vielmehr wollten die Frauenrechtlerinnen die besonderen Begabungen beider Geschlechter fördern, so die evangelische Theologin. Die Bischöfin ist oberste Repräsentantin der größten evangelischen Landeskirche in Deutschland mit rund drei Millionen Mitgliedern.

Das Ökumene-Institut der evangelischen Kirche bewertete das Vatikan-Dokument als «symbolisch überfrachtet». Der Text reihe sich ein in die spekulativen Betrachtungen von Johannes Paul II. über das Wesen der Frau, erklärte das Konfessionskundliche Institut des Evangelischen Bundes im südhessischen Bensheim.

Ausdrücklich werde darin allerdings eine Festlegung der Frau auf die biologische Mutterschaft abgelehnt, so Instituts-Referent Walter Schöpsdau. «Dass Rom die Frau an den Herd zurückholen wolle, wie befürchtet wurde, hat sich nicht bewahrheitet.» Aussagen zur Rolle des Mannes und Familienvaters mache der Text freilich nicht.

Die «Initiative Konferenz Europäischer Theologinnen» beklagte, dass das Vatikan-Papier den Ausschluss von Frauen vom Priesteramt weiter bekräftigt. Es sei zudem abwegig, dass ein ausschließlich aus Männern zusammengesetztes Gremium wie die Glaubenskongregation «frauliche Werte» definiert, erklärte der ökumenische Zusammenschluss in Stuttgart.

03. August 2004


Nachfolgend die Originalmeldung aus dem Kölner Stadt-Anzeiger vom 3. August 2004:

Käßmann attackiert den Vatikan

Die Vorwürfe Roms gegen den Feminismus seien "Unfug", sagt die Bischöfin.

VON JOACHIM FRANK

Köln - Die evangelische Bischöfin Margot Käßmann hat das jüngste Dokument des Vatikans zum Feminismus ungewöhnlich scharf kritisiert. "Es macht mich schlicht fassungslos, wie der Vatikan hier von den Frauen und der feministischen Bewegung spricht, das sind Klischees, ja Feindbilder", sagte Käßmann dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Den am Wochenende in Rom vorgestellten Text, erstellt von der Glaubenskongregation unter Kardinal Joseph Ratzinger und vom Papst approbiert, hält Käßmann für "ein tieftrauriges Stück Papier, eine verpasste Chance, ein Beharren, das nicht sieht, wo Kräfte der Erneuerung wachsen - in allen Kirchen und unter den Frauen längst über die Konfessionsgrenzen hinweg".

Der Vorwurf Roms, der Feminismus wolle die Unterschiede von Mann und Frau beseitigen, sei "schlicht Unfug", so die Bischöfin der Evangelischen Landeskirche Hannovers weiter. "Nein, gerade die besonderen Begabungen von Mann und Frau werden entdeckt." Die "Frauenfrage" als eine "Haltung des Protestes" zu beschreiben, die die Frau zur Gegnerin des Mannes machen wolle, zeuge vom Unverständnis der "Herren im Vatikan" für das Anliegen der feministischen Theologie.

Es sei für sie "unfassbar, dass der Text die »Infragestellung der Familie« ganz schlicht den Frauen in die Schuhe schiebt. Wo sind eigentlich die Männer in der Familie?" Die Bischöfin warf dem Vatikan auch Mangel an Selbstkritik vor. "Im gesamten Dokument kein Wort davon, wie die Kirche jahrhundertelang Frauen unterdrückt hat; dass sie nie zu Wort kamen, ja in der katholischen Kirche bis heute vom Priesteramt ausgeschlossen sind. Kein Wort von der Hexenverfolgung und der Schuld der Kirche. Kein Wort der Empörung über Vergewaltigung, über Erniedrigung mit biblischer Argumentation."

Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger vom 3. August 2004