Evangelische Kirche ehrt Pfarrer Paul Schneider zum 65. Todestag

Weimar/Dickenschied (epd). Die evangelische Kirche erinnert in dieser Woche mit Gedenkveranstaltungen an den vor 65 Jahren von den Nationalsozialisten ermordeten Pfarrer Paul Schneider (1897-1939). Geplant ist am Sonntag ein ökumenischer Gottesdienst in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald mit dem Thüringer Landesbischof Christoph Kähler, bestätigte die Kirchengemeinde am Montag in Weimar.

Am Grab des Pfarrers in Dickenschied im Hunsrück will der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, bereits am Mittwoch einen Kranz niederlegen und den «Prediger von Buchenwald» in einer Andacht würdigen. Paul Schneider gilt als das erste «Blutopfer» der Bekennenden Kirche während des Nationalsozialismus. Er wurde am 18. Juli 1939 nach mehr als einjähriger Einzelhaft in dem Konzentrationslager bei Weimar von der SS ermordet.

Wegen seiner konsequenten Ablehnung des NS-Regimes war Schneider 1937 in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht worden. Der evangelische Theologe hatte beim Morgenappell regelmäßig Bibelworte aus seiner Bunkerzelle herausgerufen.

12. Juli 2004

Abschied von den Legenden

Das Bild von Pfarrer Paul Schneider hat sich 65 Jahre nach Ermordung des «Predigers von Buchenwald» gewandelt

Von Thomas Bickelhaupt

Weimar (epd). Das Grauen von Buchenwald bekommt gleich neben dem Lagertor konkrete Gesichter. Von den 26 einstigen Zellen des so genannten Bunkers wurden sechs mit Namenstafeln und Fotos zu Gedenkorten für jene Häftlinge, die hier in Einzelhaft von SS-Wachposten zu Tode gequält wurden. Zu den bekanntesten Opfern der Folter und Misshandlung in dem Arrestbau gehört der evangelische Pfarrer Paul Schneider, dessen Todestag sich am 18. Juli zum 65. Mal jährt.

Dem Tod des 41-Jährigen nach 15 Monaten Isolationshaft waren wiederholte Konflikte mit der Nazipartei und den gleichgeschalteten «Deutschen Christen» im Rheinland vorausgegangen. Nachdem sich Schneider 1934 in seiner Heimat im Hunsrück der Bekennenden Kirche angeschlossen hatte, wurde er in den folgenden Jahren wegen seiner Kritik an der NS-Ideologie mehrfach inhaftiert. Im November 1937 kam er aus dem Gestapo-Gefängnis Koblenz nach Buchenwald, wo ihn die SS nach monatelanger Zwangsarbeit im Steinbruch schließlich im April 1938 im «Bunker» arretierte.

Schneiders «Vergehen»: Er hatte sich geweigert, beim Häftlingsappell zu Hitlers Geburtstag die Hakenkreuzfahne zu grüßen. Die Konsequenz, mit der sich der rheinische Pfarrer nicht nur in dieser Situation den Machthabern widersetzte, hat Mithäftlinge immer wieder stark beeindruckt. So waren es vor allem die Erinnerungen von Überlebenden, die nach 1945 das Bild vom «Prediger von Buchenwald» entstehen ließen, der aus seiner Zelle den Gefangenen auf dem Appellplatz aufmunternde Bibelworte zurief.

Bis heute ist dieses Erinnerungsbild fester Bestandteil des Gedenkens an die Nazi-Opfer weit über Buchenwald hinaus. Zugleich aber ist 65 Jahre nach Schneiders Tod der Blick auf das erste Opfer der Bekennenden Kirche differenzierter geworden. Das zum Teil politisch instrumentalisierte Bild des antifaschistischen Widerstandskämpfers Paul Schneider weicht zunehmend dem Bild des Menschen Paul Schneider, der aus tiefer religiöser Überzeugung das NS-Unrechtsregime strikt ablehnte.

Dazu beigetragen haben nicht zuletzt die Schneider-Biografie des US-amerikanischen Historikers Claude Foster sowie die Dokumentation der Theologin und Filmemacherin Sabine Steinwender mit dem Titel «Ihr Massenmörder - ich klage euch an». Hinzu kamen jüngst Untersuchungen zu Berufsverboten der rheinischen Kirche für mindestens 193 Männer und Frauen in der NS-Zeit - darunter Paul Schneider.

Auch die Gedenkstätte Buchenwald stellt den Kirchenmann mit seiner ungebrochen aufrechten Haltung nicht mehr als herausgehobenen politischen Widerstandskämpfer dar. Die jetzige Einordnung unter das Generalthema «Selbstbehauptung des Einzelnen» sei vielmehr ein Hinweis auf Schneiders tiefe religiöse Grundhaltung und Kompromisslosigkeit in Glaubensfragen, betont Gedenkstättendirektor Volkhard Knigge.

Zugleich werde damit der idealisierende Widerstand aus dem DDR-Geschichtsbild überwunden. Denn innerhalb dieser Legende sei Schneider zunehmend zu einer politischen Funktionsfigur geworden, erläutert der Historiker: «Sein Schicksal an der Seite von Kommunisten wie Ernst Thälmann, Sozialdemokraten wie Rudolf Breitscheid und internationalen Widerstandskämpfern diente auch zur historischen Legitimation der DDR.»

Vor diesem Hintergrund sollten nicht zuletzt die Kirchen zu einer loyalen Haltung gegenüber dem Staat gebracht werden, so Knigge. Doch wenn über das Gedenken an Persönlichkeiten wie Paul Schneider «wirklich historische Aufklärung» erreicht werden solle, «dann kommt es auf den Menschen an und nicht auf Legenden», fügt der Direktor der Gedenkstättenstiftung hinzu.

12. Juli 2004