Kirchenföderation: Auf der Suche nach Mitteldeutschland

Kirchenföderation verleiht der Diskussion um den umstrittenen geographischen Begriff neuen Akzent

Von Thomas Bickelhaupt

Eisenach/Magdeburg (epd). Mit dem 1. Juli kommt erneut Bewegung in die deutsche Kirchenlandkarte. Nachdem bereits zu Jahresbeginn die «Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz» entstanden war, tritt ein halbes Jahr später die «Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland» in Kraft. Der Zusammenschluss der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen mit der benachbarten Kirchenprovinz Sachsen betrifft zwischen Thüringer Wald und Altmark rund eine Million Christen.

Ziel der Reform ist eine Bündelung der Kräfte. Die Verwaltung soll gestrafft, Doppelarbeit vermieden und ein hohes Niveau der Gemeindearbeit gesichert werden. Zugleich aber verleiht der gemeinsame Name der Diskussion um «Mitteldeutschland» einen neuen Akzent. Denn was geographisch als Großraum zwischen Thüringer Wald und Frankenwald, Erzgebirge, Lausitzer Gebirge, Fläming und Harz genau eingegrenzt werden kann, entzieht sich im historisch-politischen Bereich der einfachen Zuordnung.

Wissenschaftler wie der Jenaer Historiker Jürgen John sehen in «Mitteldeutschland» keine einheitlich gewachsene Kulturlandschaft, sondern vor allem ein Konstrukt zur Aufwertung der Region. Das Gebiet der heutigen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sei seit der Neuordnung Europas nach den Napoleonischen Kriegen als geographische Mitte Deutschlands «symbolisch-mythisch aufgeladen» worden, so John. Details dazu werden derzeit in einem Projekt an der Jenaer Universität untersucht.

Die Diskussion um «Mitteldeutschland» sei seit dem frühen 19. Jahrhundert von den Interessen politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Eliten geprägt, erläutert John. Seine eigentliche Konjunktur habe der Name nach dem Ersten Weltkrieg mit Bestrebungen um eine Neugliederung des Deutschen Reichs erlebt. Die «Renaissance des Mitteldeutschland-Denkens» nach 1990 sei der Versuch, mit dem Rückgriff auf historische Wurzeln in den betroffenen Bundesländern eine neue Identität zu stiften.

Für mehrere Wissenschaftler seien die übergreifenden Gemeinsamkeiten unstrittig, stellt John fest. Dabei werde jedoch «eine stringente gemeinsame Geschichte» unterstellt, die es so nicht gibt. Geistesgrößen wie Martin Luther, Heinrich Schütz oder Johann Sebastian Bach würden als Söhne der Region vereinnahmt. Aber auch die Bauernaufstände im 16. Jahrhundert, die Weimarer und die Wörlitzer Klassik, die rebellischen Burschenschaften von 1817 und die Klassenkämpfe in der Weimarer Republik seien «mitteldeutsche Mythen».

Als einen weiteren Aspekt nennt John die Verwendung des Begriffs im Kalten Krieg durch den Westen, um die DDR nicht beim Namen nennen zu müssen. «Da wurde plötzlich Rostock zur mitteldeutschen Stadt», sagt er. Der «Verlegenheitsname» habe seine einstige «geistige Militanz» jedoch schon lange vor der Wiedervereinigung verloren. John plädiert deshalb für Gelassenheit - mit einem «kritisch-distanzierten Blick zurück».

Die bevorstehende Kirchenföderation verkörpert ohnehin nur ein «Kleinmitteldeutschland». Denn weder die Landeskirche Sachsens mit Sitz in Dresden noch die Landeskirche Anhalts in Dessau und der Kirchenkreis Schmalkalden der kurhessischen Kirche in Kassel sind an dem Zusammenschluss beteiligt. Für sie hält der Vertragstext eine spezielle Klausel bereit: «Benachbarte Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland können dem Föderationsvertrag mit Zustimmung der beiden vertragschließenden Kirchen beitreten.»

30. Juni 2004