50 Jahre Politischer Club der Ev. Akademie Tutzing

Von Heinz Brockert

Tutzing (epd). Er ist das Gegenmodell zu den gängigen Polit-Talk-Shows im Fernsehen: der Politische Club der Evangelischen Akademie Tutzing. Jeder kommt ausreichend zu Wort, auf jeden Einwand wird eingegangen. Politiker können in Ruhe ihre Gedanken und Absichten im Dialog mit anders Denkenden darstellen und entwickeln. Die Evangelische Akademie Tutzing hat dank der gediegenen Atmosphäre des «Clubs» noch jeden deutschen Spitzenpolitiker auf dieses Forum bekommen. Am Sonntag feiert der Politische Club mit Ansprachen von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und Alois Glück (CSU), Präsident des Bayerischen Landtags, sein 50-jähriges Bestehen.

Eine Sternstunde in der Club-Geschichte war, als bei einer Tagung im Herbst 1978 die damaligen vier Spitzen der Bundesrepublik, Bundespräsident Walter Scheel, Bundestagspräsident Karl Carstens, Verfassungsgerichtspräsident Ernst Benda und Bundeskanzler Helmut Schmidt, das Thema «Zukunft unserer Demokratie» diskutierten. Zwar weniger beachtetet, aber ebenfalls sehr wirkungsvoll, war eine Tagung mit Top-Diplomaten aus den USA und der UdSSR im Sommer 1988, bei der in Umrissen bereits die europäische Wende des folgenden Jahres andiskutiert wurde.

Die wohl folgenreichste Tagung des Politischen Clubs fand am 15. Juli 1963 statt. Der Pressesprecher des Berliner Senats, Egon Bahr, entwickelte in nur gut einer halben Stunde die Ostpolitik der späteren sozialliberalen Regierung Brandt/Genscher und prägte den Leitbegriff vom «Wandel durch Annäherung». Drei Tage später waren die Zeitungen voll mit zum Teil entrüsteten Kommentaren zu den Thesen des jungen SPD-Politikers. Aber Bahrs Test-Ballon eines neuen politischen Denkens flog bereits über der Republik und in den Osten und Westen Europas hinein. Fast zehn Jahre dauerte es noch bis zur Unterzeichnung des Grundlagenvertrages 1972 und 26 Jahre bis zur Überwindung der Spaltung Europas.

Der Politische Club hat sich vielfach als Forum für Vordenker erwiesen. Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker bezeichnete ihn als «Modell wahrgenommener Verantwortlichkeit für die Dinge des Gemeinwesens». Politiker der ersten Reihe, aber auch viele junge politische Talente verbringen die Stunden eines Tagungswochenendes miteinander, müssen sich vor einem kritischen Publikum bewähren, haben aber auch im entspannten Ambiente der Evangelischen Akademie am Starnberger See bei Spaziergängen, Bootsfahrten und Kamin-Gesprächen Gelegenheit, miteinander ins Unreine zu reden.

Zu Beginn sah es der «Club» als eine wesentliche Aufgabe bei Tagungen an, das nachkriegsdeutsche Publikum an die Demokratie heran zu führen und ihm das persönliche Gespräch mit den Repräsentanten des Staates zu ermöglichen. Die heutigen drei Tagungen pro Jahr sind überbucht wie ehedem. Sie haben den Charme des Suchenden, Vorläufigen behalten, aber nicht jeder Politiker kann mehr die vollen drei Tage bleiben.

Verdienst der Akademie ist es, immer wieder profilierte Leiter des Clubs gefunden zu haben: Chefredakteure wie Dieter Schröder von der «Süddeutschen Zeitung» oder Heinz Burghart vom Bayerischen Fernsehen, den ehemaligen Regierungssprecher Claus Bölling oder ehemalige Politiker wie den jetzigen Leiter Heiner Geißler, die ihre Kontakte für die Besetzungslisten der Tagungen nutzen. Geißler nennt zwei Ziele für den Club: Er müsse immer «zeitnah diskutieren», aber bei aller Aktualität der Themenbearbeitung «eine über den Moment hinausgehende Perspektive entwickeln».

26. Juni 2004