Versöhnung über Mauern hinweg

Kölner Pfarrer arbeitet in palästinensischem Friedensprojekt

Von Holger Spierig

Beit Dschala/Köln (epd). Mauern im Heiligen Land zu überwinden ist für Rolf Röttgen eine ganz handfeste Angelegenheit: Mit Hilfe seines deutschen Passes kann der Kölner Pfarrer die streng bewachten Grenzsperren zwischen dem palästinensischen Ort Beit Dschala und der nur zehn Kilometer entfernten Stadt Jerusalem passieren. Der 46-Jährige will aber auch die Mauern in den Köpfen überwinden. Seine Freizügigkeit soll ihm in den nächsten Monaten helfen, Kontakte zwischen jüdischen und palästinensischen Jugendlichen aufzubauen.

Als erster deutscher Theologe arbeitet Röttgen für ein Jahr im Friedensprojekt «Abrahams Herberge» der evangelischen Christen in Beit Dschala mit. Die rheinische Landeskirche, die ihn auf eigenen Wunsch ins Westjordanland schickte, unterhält schon lange Beziehungen zu der 500 Mitglieder zählenden arabischen Gemeinde in der Kleinstadt bei Bethlehem. Für das vor einem halben Jahr eingeweihte Begegnungszentrum in Beit Dschala spenden die über 800 Gemeinden im Rheinland seit Jahren ihre Kollekten, die sie am so genannten Israel-Sonntag einsammeln.

Das ehrgeizige Projekt bietet Raum für Begegnungen zwischen christlichen, muslimischen und jüdischen Jugendlichen. So soll Vertrauen über die Straßensperren und die Mauer hinweg wachsen. Trotz der vielen Probleme, mit denen Röttgen konfrontiert wird, sieht der Pfarrer seine neue Aufgabe als Glücksfall. Denn in die Arbeit könne er nicht nur seine theologischen Kenntnisse, sondern auch seine Erfahrungen als Sozialarbeiter einbringen.

Wie ein Austausch zwischen christlichen, muslimischen und jüdischen Jugendlichen aussehen kann, damit beschäftigte sich Röttgen bereits in seiner Diplomarbeit zum Abschluss seines Zweitstudiums der Sozialarbeit. «Ich bin nicht hier, um zu erklären, wo es lang geht, sondern um zu schauen, was funktionieren kann», sagt er.

Zunächst ist jede Menge Improvisation gefragt. Denn die Begegnungen zwischen den Jugendlichen kommen nur mühsam in Gang. Die israelische Regierung hält es für zu gefährlich, jüdische Gruppen die Strecke zwischen Jerusalem und Beit Dschala fahren zu lassen. Und den Palästinensern wird seit Jahren der Zutritt auf israelisches Gebiet verwehrt.

Um trotz der widrigen Bedingungen den Boden für künftige Begegnungen zwischen jungen Menschen beider Seiten zu bereiten, knüpft Röttgen seit seiner Ankunft in Jerusalem vor einigen Wochen Kontakte zu israelischen Jugendgruppen. Außerdem kümmert er sich bei ausländischen Einladungen um Visa-Anträge für Jugendliche und Erzieher und begleitet Gruppen, die in «Abrahams Herberge» zu Gast sind. Zweimal im Monat hält Röttgen darüber hinaus den Gottesdienst in der 120 Jahre alten kleinen Kirche aus hellem Kalkstein.

Für seine Zeit in Israel hat er sich eines fest vorgenommen: «Ich will mich von keiner Seite vereinnahmen lassen.» Dieser Versuchung widerstand er an gleicher Stelle schon früher: Als er vor vier Jahren die Gemeinde in Beit Dschala besuchte, rollten gerade israelische Panzer durch den 10.000-Einwohner-Ort. Auf der Suche nach bewaffneten Kämpfern nahmen die Soldaten auch die Kirche und das Internat der Gemeinde unter Beschuss.

Da sei bei ihm die Wut hochgekommen, erzählt der Kölner Theologe. Doch trotz des nächtlichen Erlebnisses warnte er am nächsten Tag in seinen E-Mails Freunde in Deutschland vor einer vorschnellen Verurteilung der israelischen Regierung. «Das ist hier ein Biotop, das hoch sensibel ist», stellt Röttgen immer wieder fest.

03. Juni 2004