Advent als Raum für Stille

Kirchen: Feiertage vor Weihnachten als «Inseln der Seele» genießen

Von Stephan Cezanne

Frankfurt a.M. (epd). «Ich wünsche mir, dass der Advent wieder die Zeit wird, in der wir uns auf Weihnachten vorbereiten», sagt die hannoversche Bischöfin Margot Käßmann. Doch oft sind schon Mitte November Straßen und Geschäfte weihnachtlich geschmückt. «Worauf sollen wir uns eigentlich noch freuen, wenn der Spekulatius schon seit Wochen auf dem Tisch steht?» klagt die Bischöfin zur diesjährigen Aktion «Advent ist im Dezember», einer Initiative von evangelischen Kirchen in Deutschland.

In einer Zeit, in der alles schnell gehen muss, «ist Advent eine Zumutung», urteilt der Nürnberger Pfarrer und Psychologe Hans Gerhard Behringer in seinem Standardwerk «Die Heilkraft der Feste». Warum, fragt der Seelsorger und Coach, geraten die Menschen ausgerechnet in der traditionell stillsten und besinnlichsten Zeit des Jahres in so eine Hektik? Vielleicht sei der Festtagsstress und Konsumrausch Flucht vor einer tiefer liegenden Sehnsucht nach dem Heil der Seele, gibt Behringer zu bedenken.

Die Adventszeit verspricht ein solches Heil. Vier Wochen vor Weihnachten enden die Trauer- und Totentage im November und das neue Kirchenjahr beginnt. Mitten im Advent liegt die Wintersonnenwende am 21. Dezember. Die Nacht ist die längste des Jahres, die Tage werden wieder heller. Schon alte Kulturen wie die der Kelten feierten diese Zeit des Umbruchs vom Dunkel ins Licht. Auch das christliche Kirchenjahr verbindet Mensch und Natur und ist somit das grundlegende spirituelle Zeitsystem für Mitteleuropa.

Im christlichen Verständnis sollen die vier Adventssonntage auf die wachsende Nähe Gottes zu den Menschen einstimmen. Symbol dafür ist die Geburt Jesu an Weihnachten. Gläubige verehren ihn als den Sohn Gottes und ihren Erlöser. Advent - vom lateinischen «adventus» für Ankunft - lädt so auch ein zu innerer Wandlung und seelischer Reifung.

Dies ist bei vielen in Vergessenheit geraten. Doch die Klage der Kirchen über den Verlust der Adventszeit findet Resonanz. Beleg dafür ist auch die aus Hamburg stammende Aktion «Der Andere Advent», die sich vor allem an Kirchenferne richtet. Die Auflage eines alternativen Kalenders mit meditativen Inhalten und Tipps zur Vorweihnachtszeit konnte 2003 auf fast 200.000 gesteigert werden. Viele Menschen wollen die Festtage als «Inseln der Seele» bewusst gestalten und genießen, weiß der Hamburger Pressepastor Hinrich C. G. Westphal.

Der «Andere Advent» ist nur eine von zahlreichen bundesweiten und regionalen Aktionen gegen zu frühe Weihnachtswerbung, die Öffnung von Weihnachtsmärkten oder die Installationen von Lichterketten vor dem Toten- oder Ewigkeitssonntag. Allerdings weist der Einzelhandel auf die existenzielle Bedeutung des wichtigen Vorweihnachtsgeschäfts für die Mitarbeiter und ihre Familien hin.

Man sei sich zwar mit den Kirchen einig, dass es auf öffentlichen Plätzen vor dem Totensonntag keine Advents- und Weihnachtsdekoration geben sollte, sagt der Sprecher des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels, Hubertus Pellengahr. Auch die Öffnung von Weihnachtsmärkten vor dem Totensonntag dürfe keine Schule machen. Doch die Geschäfte benötigen für die umsatzstärksten Monate zum Teil wochenlange Vorlaufzeiten, gibt Pellengahr zu bedenken.

Viele Kunden verlangten schon lange vor Dezember nach Christbaumkugeln oder Lametta. Es sei auch ein Versäumnis der Kirchen, wenn der richtige Umgang mit den christlichen Feiertagen nicht mehr wie früher in der Öffentlichkeit präsent ist, so der Sprecher des Einzelhandels.

Seelsorger und Psychologen plädieren in den Adventstagen für eine «Auszeit» im Alltag und eine Kultur der Langsamkeit und meditativen Stille. «In der Geburt Jesu feiern wir unsere göttliche Geburt», weiß etwa der Benediktinermönch und Zen-Meister Willigis Jäger. Erst wenn man still wird und den Geist zur Ruhe bringt, könne man auch die Unrast seiner Gedanken besänftigen - nicht nur vor Weihnachten.