Studie: Evangelische Kirche vor allem für Taufe oder Trauung wichtig

Die Kirche und ihre distanzierten Mitglieder - Evangelische Kirche legt zum vierten Mal Ergebnisse von Meinungsbefragung vor

Von Jutta Wagemann

Berlin (epd). Ein düsteres Bild der Kirchen ist leicht zu zeichnen: fortwährende Austritte, am Sonntag leere Kirchen, nur bei pompösen Hochzeiten sind Orgelspiel und Talar noch willkommen. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) setzt sich bereits seit 30 Jahren regelmäßig dem Risiko aus, dass dieses Bild objektiv bestätigt werden könnte: Alle zehn Jahre, seit 1972, holt sie mit einer repräsentativen Umfrage die Meinung ihrer Gemeindemitglieder ein. Keine andere Institution in Deutschland macht das. 2002 wurden 1.800 Protestanten und 900 Konfessionslose befragt - die Ergebnisse wurden am Dienstag in Berlin vorgestellt.

In der Tat wird die Kirche inzwischen von vielen als Dienstleister geschätzt. Für Taufe, Konfirmation, Hochzeit und Beerdigung, also an Wendepunkten des Lebens, wird gerne auf die Kirche zurückgegriffen. 78 Prozent der Kirchenmitglieder gaben an, diese Begleitung von der Kirche zu erwarten. Dazu passt auch das Bild, dass die Kirchen an Weihnachten noch immer gut gefüllt sind. Die Mehrheit der Protestanten fühlt sich jedoch nur lose mit der Kirche verbunden und besucht nicht regelmäßig den Gottesdienst.

So negativ wie diese Zahlen zunächst wirken, interpretiert der EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock die Ergebnisse nicht. Er will nicht beschönigen sondern eine sachliche Auseinandersetzung anstoßen. Die «distanzierte Mitgliedschaft» müsse als eigenständige Form akzeptiert werden. Pfarrer und Gemeindemitglieder «müssen sich auf die Socken machen», um diese Menschen zu erreichen, ist Kock überzeugt.

Oberkirchenrat Rüdiger Schloz, der die Befragungen der EKD seit 1972 begleitet, weist darauf hin, dass diese Gruppe der Kirchenmitglieder früher schlecht angesehen waren. Dabei werde aber übersehen, dass diese meist christlich erzogenen Protestanten in die Kirche zurückkehren, wenn sie selbst Kinder haben. Man finde bei ihnen eine eigentümliche Mischung aus Nähe und Distanz, hat der wissenschaftliche Leiter der Studie, Professor Peter Cornehl, festgestellt. Die Kirche müsse sich mit den Bedürfnissen dieser Menschen auseinander setzen.

Wie es sich auch schon in anderen Umfragen in jüngster Zeit gezeigt hat, sind Pfarrer als Ansprechpartner und Seelsorger durchaus gefragt. Sie genießen auch ein hohes Ansehen. Ebenso soll die Kirche ein verlässlicher Partner in Notsituationen sein. Als Institution allerdings hat die evangelische Kirche ähnliche Probleme wie etwa Parteien oder Gewerkschaften - und unterscheidet sich in West- und Ostdeutschland überraschenderweise kaum. Die Individualisierung habe sich auch auf den religiösen Bereich niedergeschlagen, heißt es in der Studie.

Entsprechend sinkt die Hemmschwelle, aus der Kirche auszutreten: seit 1972 waren es 5,2 Millionen Menschen. Neuerdings sind es vor allem die jungen, gut verdienenden Berufstätigen, die der Kirche den Rücken kehren. Cornehl prognostizierte, dass die Kirche Schwierigkeiten bekommen werde, im Alltag präsent zu sein. Auch Kock vertrat die Ansicht, dass eigentlich mehr Pfarrer notwendig seien. Es sei zudem ein Problem, dass die junge Generation zu Hause kaum noch Verbundenheit mit der Kirche erfahre, räumte der Ratsvorsitzende ein.

Als diese Entwicklung um 1972 herum einsetzte, befragte die EKD erstmals ihre Mitglieder - in einem Klima der Verunsicherung, wie sich Kock erinnert. Seitdem beobachtet die EKD, dass sich der Trend stabilisiert hat. Die Kirche hat bereits in Ansätzen reagiert. Eine völlige Ausrichtung am Erwartungshorizont der Befragten hält Kock jedoch für gefährlich. Die Kirche müsse sich weiterhin an der christlichen Botschaft ausrichten. Aber wie sie die Botschaft gestaltet, müsse stark von den Bedürfnissen der Mitglieder abhängen. In dieser Hinsicht ist die Studie ein Arbeitsauftrag.

Minderheitenstatus lässt Protestanten im Osten zusammenrücken

Berlin (epd). Die Zahl der Protestanten ist klein, doch der Kontakt zur Kirche ist intensiver - auf diesen Nenner lassen sich die Ergebnisse der Mitgliederbefragung 2002 der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in den östlichen Bundesländern bringen. Sie wurden am Dienstag in Berlin vorgestellt. Insgesamt bestätigen die Umfragezahlen jedoch die Ergebnisse von der Befragung 1992: Evangelische in Ost und West sind sich erstaunlich ähnlich.

In Ostdeutschland sagten 17 Prozent der Befragten, sie fühlten sich mit der Kirche sehr verbunden, in Westdeutschland waren es 13 Prozent. 33 Prozent der ostdeutschen Protestanten gaben an, dass ihre Verbundenheit in den vergangenen zehn Jahren stärker geworden sei. Ein diffuses Verbundenheitsgefühl, das von ziemlich bis etwas verbunden reicht, erhält aber ebenso wie im Westen die höchste Zustimmung (63 Prozent).

Den Ostdeutschen sind Taufe und Konfirmation allerdings nicht so wichtig wie den Westdeutschen, die persönliche Haltung zählt dafür mehr. Ein anständiger und zuverlässiger Mensch zu sein, der seinem Gewissen folgt und die Freiheit anderer achtet, geben mehr Ostdeutsche als Kennzeichen des Evangelisch-sein an als Westdeutsche. Die Zahl der Gottesdienstbesuche ist im Osten höher, mehr Menschen beteiligen sich aktiv am Gemeindeleben. Die EKD spricht daher von einer Konsolidierung der evangelischen Kirche in Ostdeutschland, die Phänomene einer Minderheitenkirche zeige.