Neben Zahlen und Vokabeln auch die Menschen sehen

Evangelische Schulen finden immer größere Resonanz - Kongress in Nürnberg

Von Achim Schmid

Nürnberg (epd). Ein schwieriges Forschungsprojekt können die Schüler des evangelischen Gymnasiums aus dem mittelfränksichen Neuendettelsau bald auf großer Bühne präsentieren. Ab Januar soll im «Französischen Dom» in Berlin die Ausstellung «Einzigartig» gezeigt werden. Thema ist das Euthanasie-Programm der Nazis, dem auch behinderte Patienten des breit gefächerten Sozialwerks der Diakonie Neuendettelsau zum Opfer fielen.

Wie bei den anderen 960 evangelischen Schulen in Deutschland gehören Projekte wie diese Ausstellung ganz wesentlich zum Programm: An den Schulen mit christlichem Profil steht neben der Wissens-Vermittlung von Vokabeln und Formeln der Mensch in seiner Gesamtheit im Mittelpunkt - Behinderung bewusst nicht ausgeschlossen. An diesem Donnerstag und Freitag wollen Vertreter der Schulen beim ersten Bundeskongress in Nürnberg ihre Zusammenarbeit intensivieren und einen überregionalen «Arbeitskreis» gründen.

In ihrer Tradition gehen die evangelischen Schulen, insbesondere die Gymnasien, bis auf die Reformationszeit im 16. Jahrhundert zurück: Vor allem der Humanist und Luther-Freund Philipp Melanchthon setzte sich für eine breite Schulbildung ein, wie sie damals nur dem Adel und der städtischen Oberschicht zuteil wurde. Das älteste evangelische Gymnasium wurde 1544 in Hildesheim als «evangelisch-lutherische Andreasschule» gegründet.

Heute gibt es zahlreiche allgemeinbildende sonderpädagogische und berufsbezogene Schulen, die von über 140.000 Schülerinnen und Schülern besucht werden. Die größte evangelische Schule ist die Wilhelm-Löhe-Gesamtschule in Nürnberg mit fast 2.000 Schülern, die Evangelische Grundschule im sächsischen Bräunsdorf besuchen gerade einmal neun Schüler.

Gemeinsam haben diese Schulen einen Bildungsauftrag, der sich an den christlichen Werten und einem christlichen Menschenbild orientiert. Großer Wert werde auf ethische Orientierung für die jungen Menschen gelegt, betont Gerhard Pfeiffer, Geschäftsführer des am Donnerstag eröffneten Kongresses evangelischer Schulen in Nürnberg. Deshalb organisieren diese Schulen spirituelle Angebote wie regelmäßige Gottesdienste und Besinnungen.

Im Biologie-Unterricht werde ein Schwerpunkt auf ethische Fragen der Gentechnik gelegt, sagt Pfeiffer. Aber auch bei der reinen Wissensvermittlung wie in der Mathematik sei ein ganzheitlicher pädagogischer Ansatz möglich, der die Schüler als Individuen ernst nehme.

Diese inhaltliche Ausrichtung, eine Vernetzung der Schulen und die Entwicklung gemeinsamer Fortbildungs-Angebote für die Lehrkräfte wird bis Freitag im Mittelpunkt des Kongresses stehen. Außerdem soll es zur Gründung eines «Arbeitskreises Evangelische Schule» kommen. Dieser Arbeitskreis sei als gemeinsame Vertretung der evangelischen Schulen gegenüber Verbänden, Politik und Kirche gedacht, erläutert Jürgen Frank vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Nach dem Kongress soll ein Internet-Auftritt über das evangelische Schulangebot in ganz Deutschland informieren.

Die besondere inhaltliche Ausrichtung der evangelischen Schulen macht sie für immer mehr Eltern attraktiv. Bei den meisten Schulen übersteigt die Zahl der Anmeldungen deutlich die Zahl der Plätze. Allein in den neuen Bundesländern sind im vergangenen Jahr 14 neue evangelischen Schulen eröffnet worden. Auch künftig solle keinem geeigneten Kind der Schulbesuch aus finanziellen Gründen verwehrt sein, versichert Frank. Ohnehin sind die Schulgebühren häufig erstaunlich niedrig. Für das Neuendettelsauer Gymnasium zahlen die Eltern monatlich zwischen 20 und 50 Euro.

25. September 2003