Kirchen hoffen nach Karlsruher Urteil auf die Gesetzgeber

Spruch des Verfassungsgerichts im «Kopftuch-Streit» zwiespältig aufgenommen

Frankfurt a.M. (epd). Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum «Kopftuch-Urteil» ist in den Kirchen zwiespältig aufgenommen worden. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, begrüßte am Mittwoch die Karlsruher Entscheidung. Damit werde «dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu differenzierten Lösungen eröffnet», erklärte Lehmann in Bonn. Der Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Christof Vetter, sprach von einem «überraschenden Urteil». In den Bundesländern würden nun «langwierige und sicher auch kontroverse Diskussionen einsetzen», so Vetter auf epd-Anfrage.

Das Urteil der Karlsruher Richter bedeute «eine Stärkung des Rechts auf Ausübung der religiösen Freiheit», erklärte Lehmann. Eingriffe in die individuelle Religionsfreiheit bedürften künftig «einer eigenen gesetzlichen Grundlage». Bei den konkreten Regelungen müsse jedoch geprüft werden, «auf welche Weise der Integration der Muslime in Gesellschaft und Schule am besten Rechnung getragen werden kann», so der Mainzer Kardinal.

EKD-Sprecher Vetter sagte, bei der Diskussion über das Urteil müsse bedacht werden, wie «der eingeschlagene Weg der gesellschaftlichen Integration unterschiedlicher Kulturen» gefördert werden könne. Das Verfassungsgericht habe einen Grundsatz ausgesprochen, den die evangelische Kirche begrüße: Die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität sei «nicht im Sinn einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen», so Vetter.

Die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann bekräftigte ihre Auffassung, dass Lehrerinnen im öffentlichen Dienst nicht mit Kopftuch unterrichten dürften. Eine Lehrerin repräsentiere den deutschen Staat und trete damit für eine Verfassung ein, die Frauen und Männer als gleichberechtigt ansehe, erklärte die Bischöfin der größten deutschen Landeskirche. Frauen hätten «wahrhaftig lange genug» um Gleichberechtigung gekämpft.

Die Lübecker Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter bedauerte das Urteil des Verfassungsgerichts zum Kopftuch-Streit. Es werde islamische Frauen im öffentlichen Leben behindern. Auch die evangelischen Kirchen in Baden-Württemberg äußerten Kritik an der Entscheidung. «Das Urteil erschwert die Integration der verschiedenen Kulturen in den Schulen», erklärten der württembergische Landesbischof Gerhard Maier und sein badischer Amtskollege Ulrich Fischer. Als Lehrerin habe Fereshta Ludin das der Verfassung zugrunde liegende Menschenbild «einschließlich der Gleichberechtigung von Mann und Frau» aktiv zu vertreten, erklärten die Bischöfe.

Der Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, Thomas Rachel, kritisierte das Urteil zum Kopftuch-Streit ebenfalls. Damit werde «die Problematik und Konfliktträchtigkeit dieses Symbols des politisierten und radikalen Islam» verkannt.

Der evangelische Kirchenrechtler Professor Axel von Campenhausen sagte, auch nach dem Urteil sei es möglich und richtig, Beamten das demonstrative Zurschaustellen ihrer Religion oder Gesinnung im Dienst zu verbieten. Der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD sagte dem epd, das Urteil stelle nicht die Kompetenz des Staates in Frage, hier Grenzen zu setzen.