Kinderhospiz: Eltern, die stark sind wie Löwen

Das «Kinderhospiz Löwenherz» wird am 20. September eingeweiht

Von Michael Grau

Syke/Kr. Diepholz (epd). Mit einem schwerst kranken Kind zu leben konnte Bettina Zander sich nie vorstellen. Bis ihr Sohn Mika geboren wurde - mit einem schweren Herzfehler. Bei einer Operation verlor der heute zweieinhalbjährige Junge zudem 80 Prozent seiner Gehirnzellen, als er wiederbelebt werden musste. Seither ist die Mutter rund um die Uhr für ihn im Einsatz und oft genug am Ende ihrer Kräfte. Für Familien wie die Zanders wird am Sonnabend in Syke bei Bremen das «Kinderhospiz Löwenherz» eingeweiht, die erste Einrichtung dieser Art in Niedersachsen.

Der Name ist aus dem Roman «Die Brüder Löwenherz» von Astrid Lindgren über ein todkrankes Kind entlehnt. Für die gelernte Kinderkrankenschwester und künftige Hospiz-Leiterin Gaby Letzing (42) hat er aber noch eine weitere Bedeutung: «Die Eltern unheilbar kranker Kinder kommen mir oft vor wie Löwen, die mit löwenmäßigen Kräften ihr Kind verteidigen und stark sind. Damit sie weiter stark bleiben, bieten wir ihnen Unterstützung an.»

Für vier Wochen können betroffene Eltern mit der ganzen Familie künftig ins Hospiz kommen und sich vom Stress erholen. In Syke finden sie geschultes Personal, das auf die Bedürfnisse todkranker Kinder eingehen kann. Die Eltern haben dann auch einmal Zeit für die oft vernachlässigten Geschwister. Acht Plätze für Kinder stehen zur Verfügung. Ein Arzt muss bescheinigen, dass sie eine «lebens-limitierende Erkrankung» haben.

So wie Mika Zander. Alle in der Familie wissen, dass Mika nie wieder gesund werden wird. Er liegt in einer «Reha-Karre» und kann gerade die Augen und den Kopf ein wenig bewegen. Die Mutter weiß nicht, ob er sie sehen kann. Jedenfalls kann er sie nicht mit den Augen fixieren. Oft trägt ihn die 35-Jährige auf den Armen, was bei dem immer schwerer werdenden Jungen viel Kraft fordert: «Im Armdrücken bin ich schon besser als mein Mann.»

Täglich kommt eine Krankenschwester oder Krankengymnastin, um Mika zu fördern. Dann macht er unter anderem Dehnübungen oder Atemtherapie. Dadurch hat Mika sich stabilisiert: Er weint nicht mehr so oft. Und er schläft nachts meistens durch. Niemals würde ihn Bettina Zander in ein Heim geben, sagt sie: «Weil ich so eine wahnsinnige Verbundenheit mit ihm habe.» Die Alternative dazu ist für sie das Kinderhospiz: «Damit wir einmal auftanken können.»

Das Hospiz soll kein Sterbehaus sein, sagt Leiterin Gaby Letzing. «Kinder wollen leben. Sie wollen Spaß haben und keine Trauergeschichten hören.» In Syke können sie im Garten spielen, im Wasser herumtollen und am Lagerfeuer sitzen. Ein «Snoozle-Raum» mit Farben und Tönen soll die Sinne der Kinder anregen.

Dennoch ist das Haus auf das Sterben eingestellt. In einem «Abschiedsraum», klimatisiert und durch einen Gang vom übrigen Gebäude abgetrennt, sollen die gestorbenen Kinder aufgebahrt werden. Die Wände sind in einem leichten Fliederton gestrichen, die Fenster mit Sonne und Sternen bemalt. In dieser «heiligen Atmosphäre», so Gaby Letzing, können die Eltern noch bei ihrem toten Kind sitzen: «Wir sind ein Ort, der mit Leben und Tod bewusst umgeht.»

16. September 2003