Mediendiskussion: Wann ist ein Tabubruch ein Tabubruch?

Geschäftsführer von Bibel-TV beklagt Schleichwerbung im Fernsehen

Immer mehr Sendungen im deutschen Fernsehen werden mit versteckter Werbung finanziert. Das beklagte der Geschäftsführer des christlichen Privatsenders “Bibel-TV”, Henning Röhl (Hamburg), am 2. September bei einer Podiumsdiskussion zum Thema “Fernsehen zwischen Werteorientierung und Tabubruch” im Rahmen eines Medienkongresses der EKD auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin. “Häufig werden Produktionen nur noch zu 80 Prozent vom Fernsehsender finanziert”, so Röhl. Der Rest komme von Herstellern beworbener Produkte. Dafür habe sich mittlerweile der Begriff des “Infomercial”, eine Kombination aus “Information” und “Commercial” (engl. Werbung), entwickelt. Der ehemalige Fernsehdirektor des Mitteldeutschen Rundfunks betonte allerdings, daß es in zahlreichen Redaktionen sowohl privater als auch öffentlich-rechtlicher Fernsehsender permanente Gespräche über journalistische Ethik gebe. Klare Tabus seien etwa die Darstellung von Trauernden nach einem Flugzeugabsturz oder bei einer Beerdigung. Röhl: “In extremen Situationen haben Menschen Anspruch auf Diskretion.”

Wissenschaftler: Medien können keinen Wertewandel verursachen

Der Medienwissenschaftler Prof. Knut Hickethier (Hamburg) betonte, daß Medien entgegen der landläufigen Meinung nicht von sich aus einen Wertewandel verursachen können. Vermeintliche Tabubrüche seien abhängig von der Gesellschaft, in der sie geschehen. In den 50er Jahren habe eine durchsichtige Bluse in einer Fernsehshow einen Eklat verursacht. “Darüber regt sich heute keiner mehr auf”, so Hickethier. Aber bis heute gebe es Grenzen, wenn etwa die Würde eines dargestellten Menschen verletzt wird. “Tabubrüche werden sichtbar, wenn sie einen Skandal erzeugen”, so Hickethier. In einer pluralistischen Gesellschaft komme es erst zum Eklat, wenn die gemeinsamen Grundwerte verletzt würden.

Ehemaliger RTL-Direktor: Auch ohne Massenmedien gäbe es Tabubrüche

Der ehemalige Direktor des privaten Fernsehsenders RTL, Prof. Helmut Thoma (Köln), erklärte, daß es auch ohne Massenmedien gesellschaftliche Tabubrüche gebe. “Die Medien müssen sich der Gesellschaft anpassen, sonst sind sie nicht erfolgreich”, so der heutige Medienberater. Weil die Medien auf den Erfolg beim Publikum angewiesen seien, könnten sie sich große Tabubrüche ohnehin nicht leisten. Er könne nicht verstehen, daß es bereits im Vorfeld etwa der Fernsehshow “Big Brother” zu kritischen Äußerungen der Kirchen und anderer gesellschaftlicher Gruppen gekommen sei. “Was hat es da für eine Aufregung gegeben”, so Thoma. “Und was kam bei der Sendung schließlich raus? Diese Kritik war eindeutig verfrüht.” In Deutschland sollte sich die Medienkritik stärker auf Dinge konzentrieren, die an den Grundwerten der Gesellschaft gemessen werden könnten.

04. September 2003