Kultklamotten aus dem Gefängnis

Die Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel macht mit «Knastwear» ein gutes Geschäft

Von Tilman Steffen

Berlin (epd). Bisher fanden die Produkte der Haftinsassen-Fertigung im Gefängnisshop der Justizvollzugsanstalt (JVA) Berlin-Tegel nicht gerade reißenden Absatz. Nur gelegentlich gingen einzelne Stücke über die Theke. Doch seit der Bereichsleiter für das Arbeitswesen, Ulrich Fehlau, das Label «HAEFTLING» auf die Arbeitskleidung pressen lässt, kommt die Gefängnisschneiderei mit der Produktion nicht mehr nach.

«Seitdem ist hier die Hölle los», bilanziert der Chef. Die neun großen Buchstaben haben die Knastklamotten zum begehrten Modeartikel und den Vollzugsleiter zum expansionsfixierten Manager gemacht.

Der Renner sind Schuhe und schwarzlederne Taschen, die Sträflingshemden aus sanftblau gestreiftem Baumwolltuch und derbe Arbeitsjacken der Gefängnisschlosserei in olivgrün oder orangem Ton. Trendanfällige aus aller Welt gaben bei dem am 11. Juli eröffneten Internet-Shop (www.haeftling.de) in kurzer Zeit knapp 4.000 Bestellungen auf. Nun steht auf der Homepage der Hinweis, dass wegen des hohen Auftragsvolumens Bestellungen derzeit nicht möglich sind.

Rund 20 Strafgefangene, gelernte Köche oder Bauarbeiter, arbeiten mit ratternden Nähmaschinen den Auftragsberg ab. Die gewöhnliche Produktion von Wattejacken, Möbelpolstern und die Aufträge für den Eigenbedarf der Anstalt müssen warten.  Die Frage nach dem Grund für den Knastwear-Boom bringt Experten ins Grübeln. Nach «schon durchgenudelten» Trends wie Piercing, Military-Look und schwarz-weißem Gruftie-Kult suchten jungen Leute «nach etwas, was völlig überraschend ist» und setzten sich mit Sträflingsklamotten vom Mainstream ab, sagt der Berliner Jugend- und Protestforscher Dieter Rucht.

Weil sie von Häftlingen gemacht sind, verkauften sich die Knastklamotten so gut, sagt Andreas K. (Name geändert), der ein Jahr abzusitzen hat. Der gelernte Koch war froh über die Ablenkung, als er in der Schneiderei eingeteilt wurde. Stephan Bohle, «creative director» der Berliner Werbeagentur «Herr Ledesi», sieht in dem Erfolg einen Trend weg von glitzernden Werbewelten hin zu Authentizität.

In diesen Tagen erhalten die ersten JVA-Kunden Post aus dem Knast. Um die bestellten 7.000 Stücke in Kartons zu verstauen, hat der Chef die anstaltseigene Versandabteilung aufgestockt. Adressaten seien, nach dem Jargon der elektronischen Bestellungen zu urteilen, überwiegend Jüngere, sagt Fehlau. Der geschätzte Gesamterlös erreiche bei Stückpreisen zwischen 29 und 107 Euro eine sechsstellige Summe. Nach dreiwöchiger Produktion sind bereits 20 Prozent der sonst jährlich erzielten Anstaltseinnahmen erreicht.

Die Häftlinge bekommen zwischen 7,77 und 12,85 Euro pro Tag. «Eine tarifgemäße Entlohnung wäre sinnvoll», fordert der evangelische Gefängnispfarrer Manfred Lösch. Die Häftlinge könnten Schulden tilgen, ihre Familien unterstützen und für das Leben nach dem Knast sparen. «Für die meisten ist das der erste Zugang zu geregelter Arbeit, zu einem Arbeitsethos», so Lösch. Erkan Ö. (Name geändert) schätzt den Dienst am Bügelbrett. Der 37-jährige Türke bezahlt von dem Zuverdienst die Telefonate mit der Großfamilie daheim.

Am Anfang stand das Angebot der Werbeagentur «Herr Ledesi», neun Produkte der Gefängnisbetriebe auf ein Plakat und eine Webseite zu heben. Fehlau stimmte zu, nicht ahnend, auf welch ungeheure Marktlücke er damit stoßen wird. Inzwischen plant er die Produktion einer Hose, lässt eine Segeltuch-Reisetasche entwerfen und will die Herstellung sowie Versand auf 82 Mann aufstocken.

Die größte Wachstumsbremse jedoch ist hausgemacht: Die Betriebsleiter hätten selten Interesse, ihre Werkstätten auszulasten, klagt Fehlau. «Beamte denken nur in Besoldungsgruppen.» In der Schneiderei steht jede dritte Nähmaschine ungenutzt.

Doch es regt sich auch Kritik, etwa von Justizsenatorin Karin Schubert (SPD). Der Häftling als Werbeträger erschwere es, beim Volk «Verständnis dafür zu finden, dass auch Inhaftierte Teil der Gesellschaft sind».

Marketingstratege Bohle sieht im Modelabel «HAEFTLING» dagegen Chancen für alle. Die Gefängnisinsassen erhielten einen Zusatzverdienst, die JVA bekomme Aufträge, entlaste mit den Erlösen den Justizhaushalt und damit den Steuerzahler.