Als Ich-AG auf dem Jakobsweg

Ein Arbeitsloser wird Berufspilger

Von Peter Reindl

Nürnberg (epd). Huren und Heilige, Büßer und Beter, Gottsucher und Gauner: Der Jakobsweg hat schon vieles gesehen. Nun hat die Reform des Arbeitsmarktes dem alten Pilgerweg ins spanische Santiago de Compostela einen neuen Wallfahrer-Typ beschert: Der 40-jährige René Petsch aus Nürnberg hat den Sprung vom Arbeitslosen zum Berufspilger gewagt. Er ist die erste Ich-AG auf dem Jakobsweg.

Die Idee, als Pilgerführer beruflich Fuß zu fassen, kommt Petsch beim Spanisch lernen an der Nürnberger Volkshochschule. Dort hört er zum ersten Mal vom Jakobsweg. Er stürzt sich ins Internet, fängt zu lesen an und bald läuft er einfach los. «Die Glaubenskraft des Jakobus hat mich gerufen», lächelt er. Er hat das Gefühl, etwas gefunden zu haben, was er schon lange suchte.

Schnell führt sein Weg ins Arbeitsamt: «Frankenpilger» will er werden, Führer für Wanderer auf dem mittelfränkischen Jakobsweg zwischen Nürnberg und Rothenburg ob der Tauber. Die Verwunderung der Behörde ist erstaunlich kurz. Schon zwei Tage später liegt die Bewilligung in Petschs Briefkasten. Seither zahlt das Arbeitsamt der Ich-AG «Frankenpilger» monatlich 600 Euro Starthilfe. Im zweiten Jahr werden es nur noch 360 Euro sein, im dritten schließlich noch 240. Dann muss der Frankenpilger auf eigenen Füßen stehen.

Bisher funktioniert das nur, weil die Lebensgefährtin und die Mutter mithelfen. Von den 20 Euro, die er von den Teilnehmern etwa für seine «Wanderung in den Sonnenaufgang hinein» verlangt, kann der Frankenpilger keine großen Sprünge machen. Dafür entschädigt ihn das Naturerlebnis. «Wenn das erste Licht auf den Jakobsweg fällt, werden Klänge und Gerüche zur wunderbarsten Kulisse des Lebens», schwärmt er.

So begeistert war Petsch von seinen früheren Berufen nicht. Ursprünglich hat er Kinderpfleger gelernt, dann zehn Jahre als Restaurantfachmann gearbeitet. Er war Zugführer bei der Bahn und hat zuletzt, bis zur Arbeitslosigkeit, in einem Call-Center Telefonmarketing betrieben. Nichts, was einen spirituellen Menschen wirklich ausgefüllt hätte.

Mit 16 Jahren trat Petsch aus der katholischen Kirche aus. Jetzt scheint sich an ihm eine paradoxe Pilgerweisheit zu bewahrheiten: Wer aufbricht, kommt heim. Von einer «Rückbesinnung auf die religiösen Werte meiner Jugend» spricht er und entdeckt die Kraft der Tradition: «Ich pilgere in der Stärke der Menschen, die diesen Weg durch die Jahrhunderte gegangen sind.» Damit ist er nicht allein. Nach Jahrhunderten der Vergessenheit erlebt die einstmals - nach Jerusalem und Rom - drittgrößte Wallfahrt der Christenheit derzeit eine erstaunliche Renaissance.

Als 1987 der Europarat den Jakobsweg zum Europäischen Kulturweg erklärte, zählte er 5.000 Pilger. 2002 lag die Zahl der Jakobswanderer schon bei 70.000. Und wenn 2004 der Jakobstag, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt, dann wird in der Kathedrale von Santiago wieder ein heiliges Jahr ausgerufen. Gut möglich, dass dann 200.000 Fußpilger nach Galicien strömen.

Die Hausstrecke des Frankenpilgers gibt einen bescheidenen Vorgeschmack auf die Strapazen. Kräftiges Schuhwerk und lange Hosen gegen die Zecken empfiehlt er seinen Mitpilgern. Wichtiger aber ist die mentale Vorbereitung. Und was ist der Lohn der Mühe? Der Frankenpilger hat eine überraschende Antwort: «Man bekommt dafür die Gewissheit, dass das Leben gut ist.