Irit Shillor - Die fliegende Rabbinerin

Irit Shillor pendelt zwischen England, Hannover, Hameln und Wien

Von Michael Grau

Hannover/Hameln (epd). Deutschlands einzige liberale Rabbinerin, Irit Shillor, betreut gleich fünf jüdische Gemeinden: in Hannover, Hameln, Bad Pyrmont, Gudensberg bei Kassel und Wien. «Für uns ist es heute schwerer, eine volle Stelle zu kriegen als viele kleine», sagt die 53-jährige Frau mit britischem und israelischem Pass. «Viele Gemeinden können eine volle Stelle nicht bezahlen.»

So führt Irit Shillor, die im Juni in ihr neues Amt eingeführt wurde, ein Leben mit Koffern zwischen Bahn und Flugzeug. Und sie sieht das ganz pragmatisch: «Wenn es Reisen braucht, dann reise ich eben.» Freunde nennen sie die «fliegende Rabbinerin». Ihre Monate sind streng durchgeplant: Zehn bis zwölf Tage ist sie in Hannover und fährt von dort nach Hameln, Bad Pyrmont und Gudensberg. Fünf bis sechs Tage ist sie in Wien.

Schon jetzt stehen die Termine bis Sommer 2004 fest: «Die Gemeinden müssen wissen, wann ich wo bin.» Etwa zehn Tage im Monat hat sie ganz für sich, zu Hause im südenglischen Eastleigh. Dann entspannt sie sich bei Musik und ihren drei Katzen, trifft Freunde und liest viel. Auch rabbinische Literatur: «Rabbiner sind eigentlich Lehrer. Deshalb müssen wir immer studieren, sonst sind wir keine guten Rabbiner.»

Studiert hat Irit Shillor ursprünglich etwas ganz anderes - Mathematik und Physik: «Mathematik ist meine erste Liebe, eine Welt, in der ich mich wohlfühle.» Jahrelang unterrichtete sie in England hochbegabte Schüler. Parallel gab sie ehrenamtlich Unterricht in jüdischer Religion in einer liberalen Gemeinde.

Als sie in den 90er Jahren ihren Job verlor, weil ihre Abteilung geschlossen wurde, entschloss sie sich mit 48 Jahren zu einem kompletten beruflichen Neuanfang. Sie begann eine Rabbiner-Ausbildung am liberalen Leo-Baeck-College in London und fand die Stellen in Deutschland und Wien. Einen Umzug schließt sie nicht aus, doch sie wartet erst einmal ab. Irit Shillor wurde in Jerusalem geboren, wuchs dort als Tochter österreichischer Emigranten auf. Verwandte sind im Holocaust ums Leben gekommen.

Von Kind auf spricht sie Deutsch, doch in Deutschland war sie zum ersten Mal 1999. «Ich hatte sehr gemischte Gefühle. Aber das Leben geht weiter.» In Hannover und Wien hat sie Zimmer bei guten Freunden aus der Gemeinde gefunden. «Es ist jedes Mal ein bisschen so, als ob ich nach Hause komme.» In den Gemeinden wartet jeden Schabbat ein Gottesdienst auf sie, bei dem sie oft predigt, manchmal aber auch diskutieren lässt. Viele Gemeindeglieder können besser Russisch als Deutsch.

Irit Shillor unterrichtet viel. Und sie führt viele Gespräche mit den Juden vor Ort. Dabei geht es um Fragen der Tradition ebenso wie um die persönliche Lebenssituation. Erst einmal freut sie sich aber über sechs Wochen Ferien. Und zwar zu Hause, ohne Koffer, Bahn und Flugzeug: «Das ist auch einmal erholsam.»