Nach der Beerdigung in die Disko

Jugendliche trauern anders - Internet bietet Hilfe an

Von Christoph Ertz (epd)

Freiburg/Karlsruhe (epd). Wenn Jugendliche trauern, sind Erwachsene oft verstört. So hat ein 16-jähriges Mädchen erst vor kurzem ihren kleinen Bruder bei einem Unfall verloren. Dennoch zieht sie durch Diskotheken, geht auf Partys. Ein anderer Teenager zerfetzt unentwegt die Stille im Trauerhaus, immer wieder dreht er die Musik in seinem Zimmer auf volle Lautstärke. Betroffene Eltern kennen aber auch das andere Extrem: Kinder, die sich völlig abkapseln, keinen Erwachsenen mehr an sich heran lassen.

«Jugendliche trauern anders als Erwachsene», sagt Gabriele Knöll, Geschäftsführerin beim Bundesverband «Verwaiste Eltern» im niedersächsischen Reppenstedt. Oft zeigen sie ihren Schmerz nicht so konstant wie ältere Menschen. Pubertierende schwanken auch in der Verarbeitung von Trauer «zwischen zu Tode betrübt und himmelhoch jauchzend», weiß die Psychotherapeutin, die seit 18 Jahren Trauernde begleitet.

Für die Eltern sind diese unsteten Gefühlsschwankungen zwischen tiefer Niedergeschlagenheit, verzweifelter Wut und unverhohlener Lebensfreude allerdings kaum nachzuvollziehen, ja unerträglich. «Wie kann meine Tochter nur jetzt allen Ernstes in die Disko gehen?» fragt sich die Mutter, die vom Tod des Jüngsten noch wie gelähmt ist. «Hat sie ihren Bruder vielleicht gar nicht geliebt?» Die Tochter fühlt sich hingegen alleine gelassen, wenn jeglicher Ausbruch aus der Trübsal geharnischte Kritik nach sich zieht.

«Jeder hält seine Art des Trauerns für die richtige», erklärt Gabriele Knöll. So manche Familie gerät daher in der Extremsituation aus den Fugen. Stirbt ein Geschwisterkind, ist auch ein Rückfall in alte Verhaltensmuster möglich: Die mit ihrem Schmerz kämpfenden Eltern belasten zusätzlich die Situation. Mit übertriebenen Schutzbedürfnissen erschweren sie den «inneren Entwicklungsauftrag» der ihnen gebliebenen Sprösslinge, sich langsam von zu Hause abzunabeln.

Die Forschung über trauernde Jugendliche steckt in Deutschland jedoch noch in den Kinderschuhen, Hilfsangebote sind rar. Einige Selbsthilfegruppen von Eltern haben auf ihren Internetseiten Foren für «Geschwisterkinder» eingerichtet. Unter www.leben-ohne-dich.de können Besucher in der «Geschwisterecke» beispielsweise derzeit rund 250 Einträge nachlesen.

Sonja beschreibt dort ihren Seelenzustand nach dem Tod des Bruders, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam: «Es ist unheimlich schwer für mich, das zu verarbeiten, und ich weiß auch nicht, wie ich das machen soll. Ich fühle mich völlig leer.» Eine andere Schreiberin beklagt: «Viele sprechen von den Eltern, die ihre Kinder verloren haben, aber die Geschwister werden oft vergessen.»

Eine Art virtuelle Selbsthilfegruppe für trauernde Jugendliche will daher die Hospizgruppe Freiburg unter www.alles-ist-anders.de ab August im weltweiten Netz verankern. Der Chatroom soll irgendwann von Jugendlichen selbst betreut werden. «Durch das Unverständnis ihrer Umwelt verschleppen junge Menschen die Trauer oft bis ins Erwachsenenalter», erklärt Leiterin Ulrike Eberstein das Motiv für das Beistandsangebot.

Dieses Gefühl kennt Mitinitiatorin Sunhild Henneke nur zu genau. Als sie zehn war, in der Nachkriegszeit, starb ihr Bruder. Für das übrig gebliebene kleine Mädchen fanden die Eltern keine Worte. «Über Trauer sprach man nicht», sagt die heute 68-Jährige. Der Schmerz über den Verlust des großen Bruders kam regelmäßig wieder hoch, trieb ihr Tränen in die Augen, noch bis vor wenigen Jahren - bis sie mit Hilfe einer Familienaufstellung einen Weg fand, besser mit ihrer unbewältigten Trauer umzugehen.

Trauerbegleiterin Gabriele Knöll hält Internetforen für junge Menschen, deren Angehörige oder Freunde durch Mord, Krankheit oder Unfall gestorben sind, durchaus für sinnvoll. «Sie zeigen, dass man nicht allein ist.» Allerdings warnt sie auch vor möglichen Gefahren. Sie kenne junge Mütter früh verstorbener Kinder, die seit Jahren auf solchen Web-Seiten Kontakte suchen und halten. Für sie sei das Internet längst zu einem Fluchtpunkt aus der realen Welt geworden.

Information: Zum Thema gibt der Bundesverband Verwaiste Eltern ein Buch unter dem Titel «Du bist Tod - Ich lebe. Trauernde Geschwister» heraus. Informationen und Bestellungen unter Telefon 04131/6803232 und per E-Mail an Kontakt@VEID.de