Weizsäcker würdigt Rolle der Kirchen im geteilten Deutschland

Widerstand leisten oder das Land verlassen?

Erinnerungen von Zeitzeugen an das Leben der Kirche in der DDR

Die Kirchen in der DDR waren nach Darstellung des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker die „einzige zuverlässige Informationsquelle“ der Bundesrepublik über das Leben im zweiten deutschen Staat. Als einzige staatsferne und zugleich die gesamte DDR umfassende Organisation seien sie während der deutschen Teilung auch die einzige intakte Verbindung zwischen den beiden Staaten gewesen, sagte Weizsäcker, der seit Jahrzehnten beim Deutschen Evangelischen Kirchentag engagiert ist, am Donnerstagabend bei einem Podiumsgespräch über „Erinnerungen von Zeitzeugen an das Leben der Kirche in der DDR“.

Mit großem Nachdruck stellte sich der Altbundespräsident vor den früheren brandenburgischen Ministerpräsidenten und jetzigen Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD). Wegen seiner Tätigkeit als Verbindungsmann der DDR-Kirchen zu den Kirchen des Westens sei er nach der Wende „mehrmals auf ziemlich schamlose Weise angegriffen“ worden, rief Weizsäcker unter dem tosenden Beifall der 800 Zuhörer. Er persönlich sei Stolpe zu großem Dank und Achtung verpflichtet und habe keinen Zweifel an seiner Integrität.

Der Magdeburger Bischof Axel Noack sagte, er frage sich, „hätten wir nicht Widerstand leisten sollen gegen ein Regime, dass heute als Unrechtsstaat erscheint?“ Ihm widersprach der Berliner Altbischof Albrecht Schönherr: „Wir haben Widerstand geleistet.“ Dieser sei jedoch nicht mit dem Widerstand gegen die Nazis vergleichbar gewesen, wie auch die DDR vom NS-Staat vieles unterschieden habe. Die Kirchen hätten verbalen Widerstand und realen Ungehorsam geleistet und seien nach dem Einmarsch das Warschauer Pakts in Prag 1968 auch zu politischem Widerstand im Stande gewesen. Die Frage, die DDR zu verlassen, habe sich ihm und seinen Mitstreitern indes nie gestellt: „Hier hat Gott uns hingestellt, hier müssen wir bleiben“, das sei stets seine Überzeugung gewesen, sagte Schönherr.

Eine „unheilige Allianz“ staatlicher Stellen und der Amtskirche versuchte allerdings nach Darstellung des Juristen Peter Willms, eine missliebige kirchliche Oppositionsgruppe in den Griff zu kriegen. Während die katholische Kirche selbst sich „gesellschaftspolitisch abstinent“ verhalten habe, sei der von ihm mitbegründete „Aktionskreis Halle“ unbequem gewesen, sagte Willms, der in der DDR acht Krankenhäuser in katholischer Trägerschaft geleitet hatte.
Der frühere Erfurter Propst Heino Falcke berichtete, oft genug habe der Staat auch nachgegeben: „Man konnte etwas bewegen, wenn die Kirchen nur klar und deutlich sprachen.“ Falcke räumte allerdings ein, mit seinem Wort vom  „verbesserlichen Sozialismus“ habe er in seiner Kirche ziemlich allein dagestanden.