Kirchen: Orte zum Kraft schöpfen

Synode ermutigt Gemeinden zur Öffnung der Kirchen

Von Jürgen Prause (epd)

Leipzig (epd). Die Leipziger Nikolaikirche steht offen. Obwohl im Inneren Baugerüste für die Renovierung aufgestellt sind, halten sich zahlreiche Besucher in der Kirche auf, die durch die Friedensgebete während der friedlichen Revolution in Ostdeutschland im Herbst 1989 berühmt wurde. Eine Senioren-Gruppe lässt sich die klassizistische Architektur des Kirchenraums erläutern. Einige Besucher tragen Gedanken und Wünsche in die ausgelegte Kladde ein, andere verharren still vor dem leuchtenden Kerzenbaum. «Nikolaikirche - offen für alle» - das Motto aus DDR-Zeiten ist weiter gültig.

Kirchen sollen Orte der Besinnung und «Zuflucht für Bedrückte» sein. «Hier kann die Seele durchatmen und Kraft schöpfen für den Alltag», heißt es in einer «Kundgebung», die die in Leipzig tagende Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Sonntag verabschiedete. Dazu müssen die protestantischen Kirchen offen stehen. Das ist allerdings bisher eher selten der Fall. Anders als die Nikolaikirche und die meisten katholischen Gotteshäuser sind evangelische Kirchen für Besucher außerhalb der Gottesdienste meist geschlossen.

Die EKD-Synode will das ändern und Gemeinden dazu ermutigen, ihre Kirchentüren häufiger offen zu halten. Unterstützung findet das protestantische Entscheidungsgremium bei dem Hamburger Theologieprofessor Fulbert Steffensky. Kirchen müssten für die Menschen zugänglich sein, wenn diese sie brauchten, forderte Steffensky vor der Synode. Zulauf haben die Kirchen besonders nach Katastrophen oder Anschlägen. Aber auch in Zeiten persönlichen Glücks oder Unglücks brauchten Menschen die Kirchen, so Steffensky.

Ein Umdenken auf evangelischer Seite fordert Landessuperintendent Eckhard Gorka aus Hildesheim. «Wir sollten die Besucherströme nicht länger als Last empfinden», sagte der Theologe vor der Synode. Auch der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich plädiert vehement für eine Öffnung der Kirchen. Die Gemeinden seien sich der Notwendigkeit dafür oft gar nicht bewusst. «Da muss die Sensibilität wachsen», so Friedrich. In Bayern stehe bereits mehr als ein Drittel der Kirchen Besuchern offen.

Kirchen sind Orte des Gottesdienstes, aber nicht nur. «Eine Kirche verengt, wenn sie nur Ort des Gottesdienstes ist, und das sonntags von zehn bis elf Uhr», warnte Steffensky. Die Nikolaikirche habe den Nöten der Menschen in der DDR-Spätzeit einen Raum gegeben. Dadurch sei die Kirche «geheiligt» worden. «Die Kirche gehört nicht sich selber, sie gehört den Leiden und den großen Fragen des Gemeinwesens», sagte der Theologe.

Vor allem historische Kirchenbauten in den Innenstädten ziehen viele Besucher an. Die Erhaltung der Sakralgebäude verschlingt viel Geld. Die Kirche müsse deshalb eine Beteiligung der Gesellschaft an den finanziellen Lasten einfordern, sagte der Hildesheimer Synodale Gorka. Einen stärkeren Beitrag der Kommunen hält jedoch die neue Präses der EKD-Synode, Barbara Rinke, für unrealistisch. Als Oberbürgermeisterin von Nordhausen (Thüringen) kennt die SPD-Politikerin die desolate Finanzlage der Städte.

So werden die evangelischen Landeskirchen in den kommenden Jahren wohl nicht umhin kommen, Kirchengebäude ganz aufzugeben. Dazu zwinge neben der zunehmenden Finanzknappheit der Mitgliederschwund der Kirchen, erklärte Gorka unter Hinweis auf die demographische Entwicklung. Die kleiner werdenden Gemeinden seien den finanziellen Belastungen kaum gewachsen. «Wir müssen den Mut haben, uns von Gebäuden zu trennen», so der Hildesheimer Theologe. Ein Verkauf von Kirchenbauten müsse in Betracht gezogen werden.