«Protestanten fegen rechts, Katholiken links»

Simultankirchen sind ein Kuriosum in der Kirchengeschichte

Von Gerrit-Richard Ranft (epd)

Ulm (epd). Wenn Katholiken und Protestanten sich heute eine Kirche teilen, ist das nicht immer ein Zeichen von Harmonie: Politisch motivierte Entscheidungen des einstigen Landesherrn oder auch ungeklärte Besitzverhältnisse ließen früher gelegentlich so genannte Simultankirchen entstehen. Evangelische und katholische Christen waren in ihnen zu meist ungewohnter Nähe gezwungen. Dies förderte nicht selten die gegenseitige Feindseligkeit.

Heute sind Simultankirchen ein Symbol für gute konfessionelle Zusammenarbeit an der Basis. Sie finden sich vor allem im Elsaß, in Baden, in der Pfalz und im Rheinland. Kirchenhistorisch bedeutend sind die Dome im nordhessischen Wetzlar oder im sächsischen Bautzen.

Ein Beispiel ist auch eine der ältesten Simultankirchen Deutschlands im oberschwäbischen Kreisstädtchen Biberach an der Riß wenig südlich von Ulm. Seit bald einem halben Jahrtausend wird sie von Protestanten und Katholiken gleichberechtigt genutzt. Während das Kirchenschiff beiden Konfessionen «gehört», verfügt die katholische Seite allein über Chor und Seitenkapellen, die evangelische über die Sakristei.

Mit Ratsbeschluss war die Freie Reichsstadt Biberach 1531 zur Reformation übergegangen. Gleichzeitig hatten die Stadtoberen ihre Hauptkirche - dem heiligen Martin und der Jungfrau Maria geweiht - den Protestanten zur alleinigen Nutzung übertragen. Als Folge des «Augsburger Interims» wurden 1548 in der Biberacher Stadtpfarrkirche neben evangelischen Gottesdiensten auch katholische Messen wieder zugelassen. Hundert Jahre später bestätigten am Ende des Dreißigjährigen Kriegs alle einstigen Kriegsgegner im Westfälischen Frieden von Münster und Osnabrück diese Regel. Das «Interim» währt damit sozusagen bis auf den heutigen Tag.

Allerdings, das erweist sich immer mal wieder, sind auf beiden Seiten Verständnis und guter Wille vonnöten, um die Simultaneität nicht zu gefährden. Dass eine evangelische Bibel auf einem auch katholisch genutzten Altar aufliegt, ist so selbstverständlich nicht. Das wurde es in Biberach erst, als die katholische Seite nach der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils in den 60er Jahren im gemeinsamen Kirchenschiff ein Lesepult aufstellen durfte.

In Biberachs Simultankirche sind die Reinigungsdienste sorgsam getrennt: Protestanten fegen rechts, Katholiken links. Auf der Empore, abwechselnd von beiden Seiten gepflegt, herrscht Ökumene. Selbst für korrekte Teilung der Energiekosten ist eine Lösung gefunden. Seit der jüngsten Renovierung sind zwei Stromzähler eingebaut. Der jeweilige Mesner setzt den seinen zu Beginn des Gottesdienstes in Gang.

Bis 1806, am Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, war Biberach zu über 95 Prozent evangelisch. Heute sind von 26.000 Biberacher Christen rund 17.000 katholisch. Das Kirchengebäude wird von der Stiftung «Gemeinschaftliche Kirchenpflege» verwaltet. In ihr führt der Oberbürgermeister den Vorsitz über ein Gremium aus Stadtrat und Pfarrern beider Konfessionen. Den simultanen Jahreslauf regelt die jährliche gemeinsame Sitzung beider Kirchengemeinderäte.

Frühere Auseinandersetzungen in Simultankirchen zwischen beiden Kirchenparteien spielen mittlerweile keine Rolle mehr. Die Kirchengeschichte berichtet von Pfarrern, die ihre Predigt überzogen, nur damit die jeweils andere Gemeinde bei Wind und Wetter vor der Tür warten musste. In anderen wurde der Chorraum mit Gittern versperrt. Unter anderem solche Konflikte führten schließlich im 19. Jahrhundert dazu, dass die Kirchenbehörden die meisten Simultankirchen abschafften.