Der “Fall” Oliver Kahn: Mehr Mut zur Treue

Die Kirche muss realistischer über die Mühen der Ehearbeit reden

Margot Käßmann

Es scheint ja doch noch Werte zu geben bei den Deutschen! Oliver Kahn hat als Vorbild laut Umfragen ausgedient, weil er (33) zugegeben hat, seine hochschwangere Frau (31) seit Monaten mit Verena (21) zu betrügen. Dabei hatten wir doch schon gedacht, alle seien gewöhnt an dieses ewige: Wer diese Woche mit wem? Letzten Freitag habe ich beim Zahnarzt die “Bunte” gelesen. Da wimmelt es nur so von unverbindlichen Paaren: Frau Effenberg weiß noch nicht, wann ihre Scheidung stattfinden wird, dementiert aber, dass sie ihren Liebhaber Chris ersetzt habe. Nicolas Cage hat nach 104 Tagen Ehe seine Frau Lisa Marie Presley (einst mit Michael Jackson verheiratet, ob es dazwischen noch einen Ehemann gab, ist mir nicht bekannt) verlassen, die wahrscheinlich von ihm schwanger ist. Ben Affleck stoppt Spekulationen über eine mögliche Ehe mit seiner derzeitigen Freundin Jennifer Lopez. Das Blatt wimmelt von ähnlichen “Vorbildern”.

Ein trauriger Rekord

Was in aller Welt ist bloß mit den Ehen los? 195.000 Scheidungen gab es im vergangenen Jahr - eine traurige Rekordzahl. Selbst die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” gibt jetzt “Erste Hilfe für den Rosenkrieg” mit Tipps zu Scheidung und Finanzen. Von all dem Zorn und all der Trauer sind unmittelbar 390.000 Frauen und Männer und bei einer Quote von 1,2 Kindern pro Frau ca. 216.000 Kinder betroffen. Ganz abgesehen von Eltern, Schwiegereltern, Freunden. Haben wir uns schlicht daran gewöhnt, dass es eine Art “sukzessiver Polygamie” gibt, bei der Männer alle paar Jahre mit einer jüngeren Version Ehefrau auftauchen?

Die Bibel ist realistisch

Wie gehen wir als Christinnen und Christen, als Kirche damit um? Wenn ich in Gemeinden nachfrage, heißt es: Das wird eigentlich nicht besprochen, die Kirche ist für die Hochzeit da, nicht für die Trennung. Als ich vor zwei Jahren gefragt habe, ob wir Scheidungen nicht intensiver begleiten müssen, gab es Ärger und Spott nach dem Motto: Käßmann will Scheidungen segnen. So ein Unfug! Ich sage schlicht: Wir dürfen nicht einfach darüber hinwegsehen. Und sich naserümpfend empören über tempores et mores, das reicht nicht. Schließlich hat die Scheidungswelle längst die Kirchen erreicht, ja auch Pastoren-Ehen und evangelikale Kreise. Die Bibel hat ja ein sehr realistisches Menschenbild. Da ist das sechste Gebot: “Du sollst nicht ehebrechen”. Und da sind etliche Geschichten von seiner Übertretung, denken wir nur an David und Batseba. Das Gebot bleibt ein gutes, heilsames Gebot. Wir wissen doch, was Ehebruch auslöst an Schmerz und Leid! Luther sagt im Kleinen Katechismus, das biblische Gebot “Du sollst nicht ehebrechen” bedeutet: Wir sollen in der Ehe einander lieben und ehren. Das heißt eben auch, einander respektieren in den Krisenzeiten. Mir geht es darum, in der Kirche realistischer über Ehe zu reden und Eheleute zu ermutigen. Nach dem “schönsten Tag des Lebens” kommen auch die Mühen des Alltags. Und doch: Es lohnt sich. Warum nicht einmal eine Zeitungsseite über die Erfahrungen langjähriger Ehen? Jeden Monat gratuliere ich mit Urkunde Paaren zur goldenen, diamantenen oder eisernen Hochzeit. Und oft erhalte ich als Reaktion darauf bewegende Briefe. Die sind teils sehr offen, aber stets nach dem Motto: “Es ist ein Gewinn, das Durchhalten gewagt zu haben.” Wir sollten Menschen ermutigen, treu zu sein, Ehebruch nicht einfach als “Unterleibsprobleme” (Klaus Geyer) zu sehen. Aber auch: Jeder Mensch macht Fehler, wir sind alle verführbar. Dann kostet es Kraft, sich zusammenzusetzen, zu reden, einander nicht die Ehre zu nehmen, um Versöhnung ringen, Neuanfänge zu wagen über Verletzungen hinweg. Ich wünsche Oliver Kahn und seiner Frau, ja allen Ehepaaren in einer Krise, dass sie den Mut dazu haben und Menschen, die ihnen dabei helfen. (Die Autorin, Margot Käßmann, ist Bischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers) - idea