«Wer den Krieg gewinnt, überwindet ihn nicht»

Friedensforscher Weizsäcker: Krieg gegen Irak muss verhindert werden

Starnberg (epd). Der Physiker, Philosoph und Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker (90) hat sich lange mit der Frage befasst, wie der Krieg als Institution zu überwinden ist. Über Kriege und den drohenden Waffengang im Irak sprach epd-Redakteur Heinz Brockert mit Weizsäcker.

epd: Sie haben in den 80er Jahren mit ihrem Aufruf «Die Zeit drängt» vor einem Krieg der Supermächte gewarnt. Befinden wir uns wieder in einer militärisch-politischen Krise, deren katastrophaler Höhepunkt vor uns liegt?

Weizsäcker: Der große Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion fand nicht statt, weil die Menschen auf beiden Seiten gemerkt haben, dass das für beide ein großes Unglück wäre. Wie schnell die Menschheit lernen wird, auch die kleineren Kriege zu überwinden, das weiß und ahne ich nicht. Ich sage nur, dass sie überwunden werden sollten. Zur heutigen Situation: Der Krieg gegen den Irak muss verhindert werden. Aber selbst wenn dieser Krieg stattfinden würde, was ich für ein großes Unglück halten würde, so wäre das nicht ein großer Weltkrieg, sondern einer jener bewaffneten Konflikte, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg immer wieder gegeben hat.

epd: Wie könnte denn ein neuer Krieg in Nahost verhindert werden?

Weizsäcker: Ich bin jetzt 90 Jahre alt. Ich kenne die realen Verhältnisse nicht gut genug, um sagen zu können, wie man diesen Krieg verhindern kann. Ich möchte aber doch sagen, dass die deutsche Regierung sich absolut nicht daran beteiligen sollte. Ich habe den Eindruck, dass Präsident Bush, dass die Regierung der Vereinigten Staaten noch nicht verstanden haben, was eigentlich notwendig wäre, nämlich, dass die Institution des Krieges überhaupt überwunden werden muss. Auch wer einen Krieg gewinnt, überwindet ihn nicht. In Europa haben durch Jahrhunderte immer wieder Kriege stattgefunden, zum Beispiel zwischen Deutschland und Frankreich. Aber seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Vorstellung, dass es noch einmal einen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich geben könnte, absurd.

epd: Spielt bei ihren Aussagen politische Klugheit oder auch Moral eine Rolle?

Weizsäcker: Ich rekurriere hier auf eine Grundposition. Und die ist eben die, dass man die Institution des Kriegs überwinden muss und kann. Ich habe die Hoffnung, dass der Krieg so gehen wird, wie er in die Menschheitsgeschichte gekommen ist. Es gibt Lebewesen, wie zum Beispiel die Löwen, die führen keinen Krieg gegeneinander. Der Mensch stammt vom Affen ab, und er hatte zunächst keine Waffen. Dann aber haben die Menschen immer mehr Technik erfunden, so dass sie Waffen machen konnten. Und dann haben sie im Unterschied zu den Löwen angefangen, gegeneinander Kriege zu führen. Und das müsste überwunden werden.

epd: Wie kann diese Einsicht bewirkt werden? In den 80er Jahren haben Sie auf die moralische Kraft der christlichen Kirchen gesetzt und ein Friedenskonzil, eine Weltversammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung gefordert.

Weizsäcker: Das Christentum hatte diese Kraft nicht. Ich habe mich damals an die Christen gewendet, weil ich selber Christ bin und weil zum Beispiel auch in den USA die christliche Tradition die wohl stärkste Tradition ist. Heute bin ich der Meinung, dass die Weltreligionen gemeinsam diese Forderung nach Überwindung des Krieges an die Menschheit stellen müssten.

epd: Die evangelische Friedensethik ist eine komplexe Lehre, die den Einsatz von Gewalt nur als letztes Mittel zulässt. Woher schöpfen Sie Ihre Friedensethik?

Weizsäcker: Als ich zwölf Jahre alt war, begann ich, in der Bergpredigt zu lesen. Und ich habe sofort gesehen, dass das die Wahrheit ist, dass es aber eine Wahrheit ist, an die sich die meisten Menschen gar nicht halten. Und mir wurde klar, dass sich die Menschheit vermutlich zu Grunde richten wird, wenn sich die Erkenntnis, die Jesus da gepredigt hat, nicht durchsetzt. Und das würde ich im Grunde auch heute noch sagen.