Eine andere Form von Nähe - Schule für Mütterpflegerinnen

Von Stefanie Walter (epd)

Gießen (epd). Die ganze Nacht hatte das Baby geschrien. Susanne Liebig gab der Mutter einen Tipp: Sie sollte dem Säugling beim Schlafen eine Mütze überziehen, damit er sich geschützt fühlt - wie früher im Mutterleib. Der kleine Trick funktionierte. Susanne Liebig ist Mütterpflegerin, eine der wenigen in Deutschland. Sie hilft Frauen, die nach der Geburt nach Hause kommen, über die schwierige erste Zeit hinweg: Die 38-Jährige kocht gesundes Essen, deckt schön den Tisch, gibt Tipps zur Babypflege, bringt die Geschwisterkinder in den Kindergarten oder verwöhnt die Mutter mit einer Entspannungsmassage. «Wenn es der Mutter gut geht, geht es auch dem Baby gut», erklärt Dorothea Heidorn. Sie leitet Deutschlands einzige Schule für Mütterpflegerinnen in Gießen. Seit 1996 besteht die Schule, etwa 50 Mütterpflegerinnen haben bisher dort eine Qualifizierung abgeschlossen. Das Berufsbild gibt es schon sehr lange: Bis in die 1970er Jahre halfen «Wochenbettpflegerinnen» den jungen Müttern. Dann gingen immer mehr Frauen für die Geburt in Krankenhäuser, und der Beruf starb aus. Jetzt steige die Nachfrage, erzählt Heidorn, denn viele Frauen entbänden ambulant oder blieben nur ein paar Tage im Krankenhaus. Zu Hause seien sie dann oft allein, weil heutzutage keine große Familie aus Großeltern und Tanten die Frauen entlaste. «Die Paare sind auf die Elternschaft nicht vorbereitet», sagt die Lehrerin für Hebammenwesen. In einigen Regionen litten bis zu sechzig Prozent der Mütter an Wochenbettdepressionen; die Zahl der so genannten «Schreibabys» nehme zu. Durchschnittlich zwanzig Mal suchten deutsche Mütter im ersten Lebensjahr des Kindes einen Arzt auf, rechnet Heidorn vor. Die Mütterpflegerinnen arbeiten freiberuflich, Kosten müssen sie mit den Krankenkassen abrechnen. Die sind allerdings skeptisch: «Die Mütterpflegerinnen machen etwas, was es eigentlich schon gibt», erklärt Stefan Himmelberg von der Gmünder Ersatzkasse (GEK), der sich eingehend mit der Schule befasst hat. Krankenkassen gewähren nach der Geburt eine Haushaltshilfe, wenn der Arzt sie für notwendig hält und niemand aus der nahen Verwandtschaft einspringen kann. Doch nehme sich in der Regel der Vater in der ersten Zeit nach der Geburt Urlaub. Für die übrigen Fälle haben die Krankenkassen nach Auskunft Himmelbergs mit Organisationen wie Caritas oder Diakonie Verträge abgeschlossen, über die Haushaltshilfen eingesetzt werden. Ein spezielles «Leistungsangebot Mütterpflegerin» bestehe hingegen nicht. 2.500 Euro kostet die Qualifizierung. Auf dem Stundenplan stehen Wochenpflege, Entspannungstechniken, Ernährungslehre oder Trauerbegleitung. «Mutterschaft ist ein sozial isolierter Beruf», meint Ulf Häbel. Der evangelische Pfarrer und Psychologe bietet in der Schule ehrenamtlich Kommunikationstrainings an. Die Mutterrolle könne heute nicht mehr eingeübt werden, sagt Häbel, weshalb die Frauen unsicher seien. Mütterpflegerinnen erklären deshalb die «Grundbedürfnisse» eines Babys: Ruhe, ein Rhythmus im Tag, Getragen werden, Hüllen, damit sie sich sicher fühlen. Statt bei Unterleibsschmerzen einfach eine Wärmflasche auf den Bauch zu legen, arbeiten die Pflegerinnen mit Wickeln und ätherischen Ölen û eine «andere Form von Nähe» nennen sie das. Meist erfahren Mütter über Mund-zu-Mund-Propaganda von dem Angebot. «Pro Woche erreichen mich ein bis zwei Anfragen», sagt Susanne Liebig, die aus dem niederbayerischen Deggendorf stammt. Das ist mehr, als sie annehmen kann. Ihre nächste Kollegin wohnt 170 Kilometer entfernt.