Die existentielle Freude des Advents

Ein “anderer” Adventskalender kämpft gegen eine oberflächliche Vorweihnachtszeit – mit Erfolg

Walter Block

(idea). “Weihnachten fällt aus. Josef ist bei der Wehrmacht. Maria ist beim Roten Kreuz.” Das schrieb ein Soldat im Zweiten Weltkrieg in seiner Feldpost an die Lieben daheim. Nachzulesen sind die besinnlichen  Zeilen in einem ökumenischen Adventskalender, der seit seiner ersten Publikation im Jahre 1995 eine steigende Auflage erlebt und zum Renner auf diesem Markt avanciert. Der Kalender “Der Andere Advent”, herausgeben vom Hamburger Verein “Andere Zeiten e.V.” , will seine Leser zu Besinnung und Stille in der hektischen Vorweihnachtszeit einladen - vom 1. Dezember bis zum Epiphaniasfest am 6. Januar, 12 Minuten jeden Tag. Die Auflage stieg von 4.000 Exemplaren 1995 auf 180.000 in diesem Jahr, Bestellungen treffen aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz ein. Sogar in Blindenschrift gibt es die einzigartige Publikation, für die innerhalb von nur drei Wochen 70.000 Bestellungen eingingen. Initiator des Projekts ist der frühere Leiter des Amtes für Öffentlichkeitsdienst der Nordelbischen Kirche in Hamburg, Pastor Hinrich C.G. Westphal, der einst die Fastenaktion “Sieben Wochen ohne” ins Leben rief. Westphal, Schüler des berühmten Hamburger Theologen Helmut Thielicke, leitet inzwischen den Verein “Andere Zeiten”, der Initiativen zur Gestaltung des Kirchenjahres entwickelt – auch und gerade in der Weihnachtszeit. “Immer mehr Menschen nervt eine oberflächliche Vorweihnachtszeit, die unsere Gesellschaft in ein strahlendes, klingendes Kaufhaus verwandelt”, sagt der 58-jährige Vereinsvorsitzende. “Statt dessen sehnen sich die Menschen nach Stille, Meditation und den eigentlichen Wurzeln des Christfestes. Wir wollen besonders diejenigen ansprechen, die sonst mit Kirche nicht viel am Hut haben.”

Wenn die ganze Welt zum Kaufhaus wird ...

Die Texte kämen mitten aus dem Leben – zum Beispiel Gedanken über Krieg und Terror oder wie man als Single Weihnachten feiere. Die Botschaft von Weihnachten sei schließlich mehr als “Marzipankugeln und süßlicher Glöckchenklang”. In einer Zeit, in der die ganze Welt zum Kaufhaus werde, bleibe vieles auf der Strecke, so der evangelische Theologe. Die Redaktion wolle mit ihrem Kalender “die wirkliche existentielle Freude des Advents” transportieren. Entwickelt wird die 7,50 Euro teure, vierfarbige Publikation von sieben Mitarbeitern des Vereins. Ein Jahr zuvor beginnt bereits die Konzeptionsphase für den neuen Kalender, doch die heiße Phase startet jeweils im Oktober eines Jahres. Innerhalb von acht Wochen müssen dann die Bestellungen des größten Teils der Auflage entgegen genommen werden. Manchmal klingelt in der Telefonzentrale von Ruthild Modersohn das Telefon im Sekundentakt. Die vier Logistik-Mitarbeiterinnen zeigen dabei Gelassenheit und Routine. Besonders freue sie sich über “all die wunderbaren Dialekte” aus dem gesamten Bundesgebiet, sagt Modersohn. Das große Interesse an diesem christlichen Produkt zeigt sich alljährlich in den vielen Dankesbriefen. “Eine größere Motivation”, sagt Pastor Westphal, “kann es für uns nicht geben.”