Keine Zeit für die Familie

Von Heinz Brockert (epd)

München (epd). «Junge Ehemänner wollen es bequem. Passt auf, junge Ehefrauen, und macht einen Vertrag mit ihnen, wer welche Aufgaben nach der Geburt eines Kindes übernimmt!» Die Pinwände vor dem Kongresssaal in München sind am Dienstagabend voll mit solch zornigen Äußerungen. Das Deutsche Jugendinstitut (München/Leipzig) hatte zu einer Tagung über «Entgrenzte Familie und entgrenzte Erwerbsarbeit» geladen und Zettel zum Dampf-Ablassen bereit gelegt.

Der Tagungsverlauf zeigte, dass Absprachen über Rollen- und Aufgabenverteilung in der Familie immer wichtiger werden. Die privaten Zeitbudgets für die Familie werden dem Jugendinstitut zufolge durch flexible Arbeitszeiten und Überstunden immer geringer.

Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, Arbeit und Urlaub verwischen sich. Lange Anfahrtswege zur Arbeit sind keine Seltenheit, die Zahl der Wochenendpendler wächst. Die Berufsbiografie wird bunter: Festanstellung, freie Tätigkeit, Halbtagsarbeit, zeitweilige Arbeitslosigkeit wechseln sich bei vielen Menschen ab.

«Wenn beide Eltern unterschiedliche Zeitpläne ohne klare Konturen haben, wenn Unterwegssein immer üblicher wird, wenn Unterbrechungen in der beruflichen Laufbahn unkalkulierbarer werden, schwinden Zeit und Energie für die Familie», sagt Karin Jurzyk, Leiterin der Abteilung Familie und Familienpolitik am Deutschen Jugendinstitut. Das alles mache nicht gerade Mut zum Kind. 60 Prozent der mobil arbeitenden Frauen haben keine Kinder.

Einige Jugendforscher sprechen bereits davon, dass sich nur noch reiche Menschen, die sich bezahlte Dienstleistungen anderer erlauben können, und einkommensschwache Bürger, die von öffentlicher Unterstützung und Gelegenheitsjobs leben und über viel Freizeit verfügen, Kinder «leisten» können.

Drei gesellschaftliche Entwicklungen sind den Jugendforschern zufolge denkbar: die Rückkehr zu alten Geschlechterrollen, eine weiter zunehmende Entscheidung gegen ein Kind oder eine Stabilisierung der «Patchwork»-Existenzen zwischen Beruf und Familie durch bessere staatliche Unterstützung für Eltern. «Auch die Arbeitswelt lebt von den Ressourcen, die in der Familie aufgebaut werden», sagte eine Teilnehmerin unter großem Beifall.