Hilferufe über das weltweite Netz - Seelsorger helfen Rat Suchenden und Verzweifelten im Internet

Von Christoph Ertz (epd)

Karlsruhe (epd). Der Hilferuf kam per E-Mail aus den USA. Sie werde von ihren Gasteltern wie eine Gefangene gehalten, schrieb ein deutsches Au-pair-Mädchen an die Internetseelsorgerin Ursula Burkert ins nordbadische Tauberbischofsheim. Den ganzen Tag, während die Eltern arbeiteten, sei sie mit dem Baby der Familie eingeschlossen. Aber nach Hause könne sie nicht mehr zurück, so die Schreiberin.

Drei bis vier solcher Nachrichten von Verzweifelten landen täglich auf dem PC von Burkert. Seit fünf Jahren bietet die evangelische Theologin zusammen mit dem Mannheimer Pastoralpsychologen Dieter K. Sprengel Seelsorgedienste bei der badischen evangelischen Landeskirche (www.ekiba.de) und dem so genannten «Kummernetz» (www.kummernetz.de) eines ökumenischen Vereins über das Internet an.

Sie seien keine Therapeuten, stellt Burkert allerdings klar. Wer eine regelmäßige, intensive Begleitung brauche, werde an entsprechende Beratungsstellen verwiesen. «Wir wollen die Schreiber nicht mit Ratschlägen löchern.» Vielmehr sollen sie in die Lage versetzt werden, neue Aspekte in ihren Problemen zu erkennen.

Wie im Falle der verzweifelten Au-pair. «Sie schämte sich, hatte kein Selbstwertgefühl mehr», sagt Burkert. Schließlich war die junge Frau gegen den Willen ihrer Eltern in die USA gegangen. In den folgenden Kontakten über den halben Erdball hinweg machte die Seelsorgerin der weit Entfernten online immer wieder Mut. Mit Erfolg. Wenig später kam eine Dankesnachricht aus Leipzig. Die Frau hatte aus ihrem Au-pair-Käfig wieder nach Hause gefunden.

«Bei der Mehrzahl der Anliegen handelt es sich jedoch um Eheprobleme», grenzt Burkert die  Seelsorgeklientel im Internet ein. Diese möchte vor allem ihre Anonymität gewahrt wissen. Zwischen Rat
Suchendem und Seelsorger komme es weniger darauf an, dass «die Chemie stimmt» als bei einem persönlichen Gespräch.

Zudem können Rat Suchende einer raschen Anteilnahme für ihre Anliegen gewiss sein. Burkert und Sprengel rufen zwei bis drei Mal am Tag ihre Mails ab. Bei den Gemeinden treffen eilige Fragesteller hingegen oft zunächst auf das Antwortband der Telefonanlage. «Oder der überlastete Pfarrer hat erst Tage später einen Termin frei», sagt Burkert.

Neben der badischen sind sich immer mehr Kirchen in Deutschland solcher Vorteile bewusst. Die Homepage der Evangelischen Kirche in Deutschland weist Links zur Online-Seelsorge der bayerischen, hessen-nassauischen, nordelbischen und kurhessischen Kirche auf. Auf katholischer Seite stehen nach Angaben der Bischofskonferenz ein Dutzend Theologen per Mausklick und Tastatur den Hilfe Suchenden  bei.

Dem kirchlichen Netzangebot fehlen allerdings in Zeiten schwindender Kirchensteuern die Mittel zum weiteren Ausbau. Der badische Onlinedienst wird derzeit durch Sponsoren finanziert, die Ursula
Burkert zusammensucht. Die Theologin, die Wirtschaftsunternehmen berät, arbeitet ehrenamtlich online, ihr Kollege Sprengel im Rahmen seines Dienstauftrags als Stadtjugendseelsorger.

Ihre Tätigkeit vergleicht Burkert mit der Funktion einer Auffangschale. Nur einmal habe sie bislang einen bedrängten Menschen nicht mehr auffangen können. Eine 21-Jährige hatte einen Abschiedsbrief gemailt. «Ich vermute, sie lebt nicht mehr», sagt Seelsorgerin Burkert. «Das arbeitet noch immer in mir.» (07712/27.8.02)