Kirchenrepräsentanten sehen gute Chancen für Reformprozess
Von Renate Kortheuer-Schüring (epd)
Frankfurt a.M. (epd). Offenbar ist die Zeit reif. Die Chancen für einen Reformprozess in der evangelischen Kirche stehen so gut wie nie in den letzten Jahrzehnten. "Die Debatte ist intensiv und lebhaft", sagt Eckhart von Vietinghoff, Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und einer der Initiatoren. Dies lasse erwarten, dass die bisher eher unverbindlich diskutierten Reformüberlegungen auch förmlich aufgegriffen würden. Allerdings schlägt der Streit um die Strukturreformpläne nach wie vor Wellen.
Dissens gibt es vor allem beim Begriff des "Bekenntnisses" und seinem Stellenwert für die Kirche und ihre Organisationsform heute. Vietinghoffs Vorschlag, die konfessionellen Bünde der Lutheraner, Reformierten und Unierten abzuschaffen und künftig als "Konvente" innerhalb der EKD zu organisieren, stößt auf Seiten der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) auf Ablehnung.
Die Bekenntnisse "sind untereinander kompatibel", verlautet aus dem Lager der Reformer. Eine "neue Einheit in bekenntnismäßiger Verschiedenheit" ist für Vietinghoff die einzig zukunftsgemäße Lösung für den Protestantismus. "Zuerst das Gemeinsame, nicht das Trennende", argumentiert der Jurist, der Präsident des Landeskirchenamt der größten Landeskirche in Hannover ist. Dies gelte für das Bekenntnis und für die Institution Kirche.
Für den Leitenden Bischof der VELKD, Hans-Christian Knuth, und mit ihm etliche Lutheraner ist "Kirchesein" indes fundamental mit dem Bekenntnis verbunden. Er hält es für einen "Verrat am Bekenntnis", eine größere kirchliche Einheit nicht auf das Bekenntnis gründen zu wollen. Sein Vorschlag: eine lutherische "Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses" mit je einem reformierten und unierten Zweig. Kirchen-Insider geben dieser Alternative aber kaum Chancen.
Unierte und Reformierte halten es eher mit Vietinghoff. So signalisierte der Vorsitzende des Reformierten Bundes, Peter Bukowski, Zustimmung zu den Reformplänen. Die Evangelische Kirche der Union (EKU), in der seit 1817 Landeskirchen und Gemeinden lutherischer und reformierter Prägung vereint sind, hat kein Problem mit verschiedenen reformatorischen Bekenntnissen in einer Kirche. Sie beschloss im Juni die Fusion mit einem weiteren kirchlichen Zusammenschluss, der Arnoldshainer Konferenz, und stellte zugleich die Auflösung dieser neuen Union Evangelischer Kirchen (UEK) in Aussicht, falls es zur Erneuerung der EKD kommt.
Maßgebliche Unterstützung erhielt Vietinghoff vom Chef-Theologen des EKD-Kirchenamts, Vizepräsident Hermann Barth. Beide halten die "Leuenberger Konkordie" von 1973 für ein Modell, das die trennende Wirkung der reformatorischen Bekenntnisse überwindet. Mit diesem Dokument gingen 103 bekenntnisverschiedene evangelische Kirchen in Europa eine Kirchengemeinschaft ein. Heute sei es theologisch legitim, dass es in einer Kirche verschiedene Bekenntnisse gebe, folgert Barth. Der Streit darum müsse die Reform nicht blockieren.
In der Tat geraten die "Blockaden" immer mehr ins Wanken. Immerhin kam der Anstoß zur Abschaffung der konfessionellen Bünde vom Präsidenten des größten lutherischen Landeskirchenamts, also aus den Reihen der VELKD selbst. Die hannoversche Bischöfin Margot Käßmann und die Synode unterstützen ihn. Auch darüber hinaus wird in Kreisen der VELKD die Lage differenziert gesehen. Während einige mit dem Status quo zufrieden sind, wollen andere eine Flurbereinigung. Dass es bereits lutherische Kirchen wie etwa die württembergische gibt, die nicht der VELKD, wohl aber der EKD angehören, wird als Argument für die Entbehrlichkeit konfessioneller Zusammenschlüsse gewertet.
Es gilt als so gut wie sicher, dass es eine Kommission geben wird, die ein Modell für eine neugestaltete EKD ausarbeitet. Wahrscheinlich wird die Kirchenkonferenz, die Versammlung der Leitenden der 24 Landeskirchen, sich im Dezember damit befassen. Mit längerem Atem geht die Reformdiskussion geht dann in ihre zweite Phase.