Wenn die Puppe Chris laut brüllt

Von Karen Miether (epd) = Winsen/Luhe (epd). Sven gibt dem kleinen Chris das Fläschchen. Für vier Tage und drei Nächte waren er, Freundin Anke und Chris eine Familie auf Probe. Sven ist 18 Jahre alt, Anke 16, und Chris ist eine Puppe. Der Säuglingssimulator aus Kunststoff sieht aus wie ein Baby. Er ist 53 Zentimeter hoch, wiegt 6,5 Pfund und ist darauf programmiert, sich auch wie ein Baby zu verhalten. Wie fünf weitere Schülerinnen im Alter zwischen 15 und 17 haben Anke und Freund Sven am Projekt «Elternschaft lernen» teilgenommen, das das Diakonische Werk an den Berufsbildenden Schulen im niedersächsischen Winsen angeboten hatte. Die Sozialarbeiterinnen Ines Appel und Martina Mirbach wollen mit den Simulatoren, den so genannten Real Care Babys, Jugendlichen anschaulich machen, was es bedeutet, ein Kind zu haben. Dazu gehöre neben Freude auch Verantwortung, sagt Appel. Das Projekt in Winsen ist eine von bundesweit rund zehn Einrichtungen, die mit den «Babys» Jugendliche schulen. Die Delmenhorster Sozialpädagoginnen Uta Schulz-Brunn und Edith Stemmler-Schaich haben die Idee vor zwei Jahren auch in Deutschland umgesetzt. Das Elternpraktikum mit der Puppe solle vorbeugen, damit überforderte Eltern ihre Kinder nicht misshandeln, sagt Schulz-Brunn, die lange in der Mütterberatung tätig war. Sven hat die Nächte bei seiner Freundin verbracht, um sich gemeinsam mit ihr ums Baby zu kümmern. «Wir wollen ein Kind haben, nach der Lehre, und wenn wir eine eigene Wohnung haben», sagt Anke. Sven findet, mit Simulator Chris hat alles schon ganz gut geklappt. Nur am ersten Tag nicht: «Da haben wir uns gegenseitig angeschrien, und das Baby hat gebrüllt. Wir haben den Kopf nicht richtig gehalten.» Die Eltern tragen ein Armband mit Elektrochip, nur sie können das Baby betreuen. Jedes Wickeln, Füttern und Wiegen wird ebenso aufgezeichnet wie Vernachlässigung oder gar ein Schütteln. Während der Projekttage mussten die Mädchen wie auch sonst pünktlich zur Schule erscheinen. Dort konnten sie mit Ines Appel und Martina Mirbach besprechen, was sie erlebt haben. Appel und Mirbach arbeiten in der Beratung von Schwangeren. Dabei haben sie es oft auch mit ungeplanten Schwangerschaften von Jugendlichen zu tun. In den Berufsvorbereitungsklassen, die die Projektteilnehmerinnen besuchen, gebe es eine junge Mutter und eine Schwangere, berichtet Lehrerin Uta Wiechern-Samadi. «Immer dann, wenn die Zukunftsperspektiven schlecht sind und es weniger Ausbildungsplätze gibt, haben wir mehr Mütter.»