Speisen statt knausern - Die Tafeln in Deutschland

Von Jens Bayer (epd). Frankfurt a.M. (epd). Rund eine halbe Million Menschen in Deutschland verdanken eine ausreichende Ernährung den so genannten Tafeln. Ehrenamtliche Helfer verteilen täglich 150.000 Kilogramm Lebensmittel an 303 Orten. Bedürftige, die sich sonst kein frisches Obst und Gemüse leisten, können sich kostenlos oder für ein symbolisches Entgelt von einem Euro bei den Tafeln verpflegen. «Die größte Überraschung ist für mich der Zulauf zu den Tafeln», sagt Vorstandsmitglied Sabine Werth. Werth hatte mit einigen Mitstreitern die Idee aus den USA aufgegriffen und 1993 die erste Tafel in Berlin gegründet. Seitdem ist die Zahl der Mitarbeiter rasant gestiegen. 18.000 ehrenamtliche Helfer kümmern sich in Deutschland darum, dass übrig gebliebene Lebensmittel in Supermärkten und Hotels nicht weggeworfen, sondern an Bedürftige verteilt werden. Die «Kunden» sind Obdachlose, Rentner, Ausländer, Arbeitslose, allein Erziehende oder Familien mit geringem Einkommen. Der Bedarf an günstigen Lebensmitteln habe seit Gründung der ersten Tafel zugenommen, sagt Werth. Lebensmittel im Wert von 130 Millionen Euro hätten die Helfer im vergangenen Jahr gesammelt und verteilt. Häufig fehlten jedoch Lagerräume und Kühlmöglichkeiten. Keine Tafel gleicht der anderen, denn jede entsteht auf Grund einer lokalen Initiative. In Frankfurt sammeln etwa 50 Helfer Lebensmittel in Supermärkten und fahren sie zu sozialen Einrichtungen. 1.500 Menschen täglich kämen dadurch zu einem vollständigen Essen, sagt Mitarbeiter Dieter Freitag. In Stuttgart hat die Tafel mehrere Läden eingerichtet, die Lebensmittel für ein geringes Entgelt verkaufen. «Wir wollen unsere Besucher nicht als Almosenempfänger behandeln, sondern als Kunden», sagt Pfarrer Martin Friz. Diese müssten mit einem Ausweis ihre Bedürftigkeit nachweisen. Tafeln sind als Vereine organisiert, werden von Wohlfahrtsverbänden oder Beschäftigungsgesellschaften getragen. Der Bundesverband mit Sitz in Berlin achtet darauf, dass der Name Tafel nur einmal pro Ort vergeben wird und kein kommerzielles Unternehmen sich danach benennt. Bei Spendern und Sponsoren sind die Tafeln erfolgreich gewesen. Die Initiativen würden nicht um Geld bitten, sondern um Sachleistungen, erläutert der ehemalige Vorsitzende Jürgen Gessner. Die Lebensmittel werden mit gesponserten Fahrzeugen verteilt. Geldspenden könnten zweckentfremdet werden, Sachleistungen nicht. Anfängliche Kritik an der Tafelbewegung ist inzwischen verstummt. Hochschullehrer für Sozialarbeit hatten zunächst moniert, die Bewegung unterhöhle den Rechtsanspruch auf Hilfe und erlaube dem Staat, Sozialleistungen abzubauen. «Wer ist der Staat? Das sind wir alle», gibt Gessner zu bedenken. «Wenn jemand neben seinem kaputten Auto steht, kann ich entweder über die schlechte Herstellung lamentieren oder ich kann mit schieben helfen.»