Brauchen wir Schockerlebnisse, bevor wir nachdenklich werden?

K ö l n (idea) - Muss die Gesellschaft immer erst Schockerlebnisse haben, bevor die Menschen nachdenklich werden? Diese Frage stellte der EKD-Ratsvorsitzende und rheinische Präses Manfred Kock (Düsseldorf) auf dem 25. Missionale-Treffen in Köln. Bei einer Podiumsdiskussion dieser Veranstaltung für missionarischen Gemeindeaufbau nahm er Bezug darauf, dass nach dem Schulmassaker von Erfurt, ähnlich wie nach dem 11. September, viele Menschen in die Kirchen strömten. Der Kirche, so betonte Kock, sei nicht an solchen Schockereignissen gelegen, um von Gott reden zu können. Dies müsse man auch in problemlosen Zeiten tun: “Wir brauchen Gott gerade dann, wenn wir meinen, ihn nicht brauchen zu können.” Die Phase, in der Mission in der Kirche ein “Unwort” gewesen sei, sei vorbei. Der Ratsvorsitzende verwies unter anderem auf die EKD-Synode von 1999, die Mission und Evangelisation zu Hauptaufgaben der Kirche erklärt hatte. Dies sei jetzt Sache der ganzen Kirche und nicht mehr nur einer Frömmigkeitsrichtung, so Kock. Er verteidigte die Imagekampagne, mit der die EKD mit Großplakaten und Anzeigen an die Öffentlichkeit tritt. Sie ist teilweise in der Kirche auf Kritik gestoßen, weil sie nur Fragen stelle, aber keine Antworten präsentiere. Kock fragte, ob es sinnvoll sei, solche Antworten auf die Werbeträger zu kleben. Er begegne dieser Kritik mit der Aufforderung: “Antworte du doch!” Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren neben Kock der Liedermacher Prof. Manfred Siebald (Mainz), der Waldbröler Bürgermeister Christoph Waffenschmidt (CDU), die Seminarleiterin der rheinischen Besuchsdienstarbeit Hilde Potthoff (Radevormwald) und die Krankengymnastin Ulrike Stöcker (Wiehl). Alle sprachen sich dafür aus, dass Christen deutlich und glaubwürdig von ihrem Glauben Zeugnis geben. Waffenschmidt - mit 32 Jahren jüngster Bürgermeister Nordrhein-Westfalens - plädierte dafür, dass Verantwortungsträger in Politik und Kirche Vorbilder sein sollten. Gerade angesichts der Parteispenden- und Korruptionsskandale sei es nötig, dass sich Christen gesellschaftlich engagieren. Siebald wies darauf hin, dass die Menschen in der Gesellschaft von heute oft nur an ihrer Funktion bewertet würden. Demgegenüber könnten Christen sagen: “Du bist von Gott geliebt, ohne im Mittelpunkt stehen zu müssen.” Der katholische Religionssoziologe Prof. Paul Zulehner (Wien) berichtete auf dem Treffen von einer Wende in der religiösen Einstellung der Bevölkerung. Seit Mitte der 90er Jahre sei messbar festzustellen, dass die Gesellschaft immer spiritueller werde. Noch in den 80er Jahren habe man geglaubt, dass eine moderne Gesellschaft immer atheistischer werde. Inzwischen habe eine religiöse Suche begonnen - aber nicht in der Kirche, sondern in der Kultur. Die Kirche habe sich hingegen immer mehr selbst säkularisiert. Am Missionale-Treffen unter dem Motto “Das Evangelium unter die Leute bringen” nahmen rund 3.700 Besucher teil. Bei dem Treffen, das von Christen aus Landes- und Freikirchen sowie christlichen Werken getragen wird, kam es zu einem Stabwechsel. Der Vorsitzende des Trägerkreises, Landeskirchenrat Klaus Teschner (Düsseldorf), übergab das Amt an den Leiter des Amtes für Gemeindeentwicklung und Missionarische Dienste der rheinischen Kirche, Pastor Hans-Hermann Pompe (Wuppertal). Bei einem Empfang wurde Teschner als “Motor” von Missionale gewürdigt. Stets habe er sich um die Verknüpfung von geistlicher Verkündigung und gesellschaftlicher Verantwortung bemüht. Der “garstige Graben” zwischen diesen beiden Richtungen sei durchaus real gewesen, sagte Präses Kock. Die Grabenkämpfe seien aber nicht fruchtbar, und deshalb freue er sich, dass ein Durchbruch gelungen sei, der beide Wege zusammenführe. Daran habe Teschner mit seinem beharrlichen Engagement erheblichen Anteil. Langjährige Wegbegleiter bei Missionale, so der freikirchliche Theologe Karl Beyer und Landespfarrer i.R. Albrecht Busch, erinnerten daran, dass sich Teschner von der Lausanner Verpflichtung leiten lasse, “das ganze Evangelium mit der ganzen Gemeinde der ganzen Welt” zu bringen. Teschner selbst verwies in seiner Bibelarbeit unter anderem darauf, dass Jesus dem Geist der Gewalt in religiösen und in politischen Fragen ein für allemal abgesagt habe. Teschner: “Erzwungener Glaube hält nicht, aufgezwungener Friede auch nicht.”