EU-Recht greift deutsche Kirchen “von den Flanken” her an

H a n n o v e r (idea) – Das Zusammenwachsen der Europäischen Union könnte die Sonderrechte der Kirchen in Deutschland in verschiedenen Bereichen gefährden. “Ein Frontalangriff auf das deutsche Staatskirchenrecht ist zwar nicht zu befürchten, doch es könnte von den Flanken her in die Zange genommen werden.” Diese Überzeugung äußerte der Juraprofessor Michael Brenner (Jena) bei einem Rechtssymposion der EKD, das vom 25. bis 26. April in Hannover stattfand. Das EU-Gemeinschaftsrecht wende sich nicht unmittelbar den Rechten der Kirchen in den Mitgliedsstaaten zu, besitze aber im wirtschaftlichen Bereich weitreichende Kompetenzen, so Brenner. Beispielsweise sei denkbar, dass die finanzielle Unterstützung diakonischer Einrichtungen durch Kirchensteuer und allgemeine Steuermittel als Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht und das Beihilfeverbot gewertet werde. Sorgen macht deutschen Kirchenrechtlern Artikel 13 (“Antidiskriminierungsmaßnahmen”) aus dem 1997 geschlossenen Amsterdamer Vertrag, falls er auf kirchliche Arbeitsverhältnisse angewandt werden sollte. Unklar ist beispielsweise, ob ein evangelisches Krankenhaus auch künftig nichtevangelische Bewerber für eine Arbeitsstelle abweisen kann. Harald Schliemann (Erfurt), Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht, empfiehlt Kirchen, Diakonie und Caritas, von allen Mitarbeitern die Zugehörigkeit zu einer Kirche zu fordern. Der “Tendenzschutz” für Religionsgemeinschaften, der sich im Europarecht erst herausbilde, “ist wesentlich auch davon abhängig, dass er in und von den Kirchen gelebt wird”. Andererseits werde man kirchlichen Einrichtungen antikirchliche Mitarbeiter so wenig zumuten, wie beispielsweise eine konservative Partei einen Kommunisten in ihrer Parteizentrale beschäftigen müsse. Das in der Diakonie geltende Streik- und Aussperrungsverbot, der sogenannte Dritte Weg, sieht Schliemann bislang vom europäischen Recht nicht berührt. Der Einzug der Kirchensteuer über die Finanzämter ist nach Ansicht mehrerer Redner ebenfalls nicht bedroht, da dies vom Grundgesetz geschützt sei. Im Blick auf die Religionsfreiheit ist das deutsche Grundgesetz nach Ansicht des früheren Bundesverfassungsrichters Paul Kirchhof (Heidelberg) “die modernste Verfassung, die wir kennen”. Um individuelle Freiheiten leben zu können, brauche es nämlich Institutionen wie Familie, Gewerkschaften und eben auch die Kirchen, denen deshalb verfassungsrechtlich ein besonderer Status zukomme. Zur Religionsfreiheit gehöre, dass eine Ordensschwester ihren Dienst am Nächsten unentgeltlich leisten darf – “auch wenn sie damit die Tarifpartner irritiert”. Keine Sorge hat Kirchhof, dass über das Antidiskriminierungsgebot die katholische Kirche gezwungen werden könnte, Frauen zum Priesteramt zuzulassen oder den Zölibat abzuschaffen: “Die Kirche ist 2.000 Jahre alt, Europa als Rechtsgemeinschaft 50 Jahre – diesen Kampf wird Europa verlieren.” Der Präsident des hannoverschen Landeskirchenamtes, Eckhart von Vietinghoff, warnte die Kirchen in Deutschland davor, im Blick auf das EU-Gemeinschaftsrechts lediglich auf Verteidigung der eigenen Privilegien zu setzen. “Man darf nicht jede Veränderung beim Staatskirchenrecht für den Untergang des christlichen Abendlandes in seiner deutschen Form halten.” Vielmehr biete die europäische Rechtsdebatte die Chance, das deutsche Regelwerk zu “durchlüften”.