Schwarzes Wochenende nach dem Amoklauf am Gutenberg-Gymnasium

Erfurt in Trauer und Entsetzen

Von Thomas Bickelhaupt (epd)

Erfurt (epd). Für Erfurt war es das «schwärzeste» Wochenende seit Jahrzehnten. Nach den Schüssen im Erfurter Gutenberg-Gymnasium, wo ein 19-Jähriger am Freitag 13 Lehrer, eine Schülerin und einen Schüler sowie einen Polizisten kaltblütig erschoss, stand den Menschen auf den Straßen Trauer und Entsetzen, aber auch ohnmächtige Wut förmlich ins Gesicht geschrieben.

Immer wieder zogen Jugendliche und Erwachsene, Familien mit ihren Kindern und auswärtige Besucher zum Ort der entsetzlichen Bluttat am Erfurter Petersberg. Dort ehrten sie die Opfer des sinnlosen und unfassbaren Anschlags mit Blumen, Kerzen und Worten des Gedenkens. In den zahlreichen kleinen Gedichten und anderen Texten auf den Treppenstufen ist «Warum?» die am häufigsten gestellte Frage.

Beim gemeinsamen Schweigen hunderter Menschen vor dem Portal der 1908 erbauten Schule, seit der Wende ein Gymnasium für 750 Schülerinnen und Schüler, spielten sich ergreifende Szenen ab. Gymnasiasten lagen sich in den Armen - hemmungslos weinend oder in stiller Trauer. Einige von ihnen suchten Halt im Gebet. Selbst Erwachsenen versagte die Stimme, wenn sie ihre Emotionen in Worte fassen wollten.

Von den tödlichen Schüssen im Gymnasium sei die gesamte Stadt mit getroffen worden, sagte der katholische Erfurter Bischof Joachim Wanke bei einem ökumenischen Gottesdienst am Samstag vor mehreren tausend Menschen im überfüllten Dom. Dort ist der Mittelaltar seit Freitag gesäumt von unzähligen brennenden Trauerkerzen und Blumengebinden. Im Rathaus liegt ein Kondolenzbuch aus, in das sich nach geduldigem Warten in einer langen Schlange inzwischen Tausende eingetragen haben, darunter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und seine Frau Doris Schröder-Köpf sowie Außenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen).

Vor den öffentlichen Gebäuden sind als Zeichen der Trauer die Fahnen der Bundesrepublik und des Freistaates auf Halbmast gesetzt. Veranstaltungen wie Theater, Frühjahrsmärkte oder Volksfeste wurden abgesagt. Trauerflor tragen nicht nur die Polizeifahrzeuge, sondern auch zahlreiche Privatautos. Unter den Scheibenwischer eines Polizeitransporters auf dem Domplatz haben Unbekannte eine rote Rose geklemmt.

Der Dom steht ebenso wie die anderen Erfurter Altstadtkirchen seit Freitag bis spät in die Nacht für Besucher offen. Überall gleichen sich die Bilder - Kerzen, Blumen, stille Gebete, Schweigen, fassungslose Gesichter. «Wir müssen den Menschen Orte geben, an denen sie ihre Trauer und ihren Schmerz loswerden können», sagt die evangelische Pastorin Ruth-Elisabeth Schlemmer.

Unmittelbar nach dem Amoklauf in der Schule in ihrem Innenstadt-Sprengel hatte sie die Andreaskirche für den ersten ökumenischen Gottesdienst nach der Katastrophe geöffnet, zu dem weit über tausend Besucher kamen. Viele mussten vor dem Eingang der überfüllten Kirche im Regen stehen. Am Tag danach gehörte die Pastorin ebenso wie zahlreiche Fachleute und Helfer in Kirchgemeinden, Sozialstationen und psychosozialen Beratungsstellen zu den persönlichen Ansprechpartnern von Trost und Beistand Suchenden.

In den Gottesdiensten am Sonntag war die Schreckenstat des 19-Jährigen, der sich nach dem Amoklauf an seiner ehemaligen Schule selbst richtete, das bestimmende Thema. Dabei sprach aus den Predigten neben dem Gedenken an das Geschehene und dem Trost für die Angehörigen der Opfer zugleich Ermutigung für das Leben danach. (03716/28.4.02)