EKD-Symposion: Zeit der Kirchenblindheit Europas vorüber

Von Rainer Clos Hannover (epd). Spätestens seit den neunziger Jahren wird in der evangelischen Kirche intensiv darüber nachgedacht, welche Rolle sie auf der europäischen Bühne spielt: Ob sie nur unter den Zuschauern Platz nimmt oder selbst als Akteur handelt. Denn die Kirchen müssen sich darauf einstellen, dass durch die Fortentwicklung der europäischen Integration immer häufiger Entscheidungen in Brüssel fallen und nicht in den nationalen Hauptstädten. Europäisches Recht beeinflusst in immer stärkerem Maße nationale Vorschriften. So kommt es nicht von ungefähr, dass sich mehr als 100 Fachleute aus Kirchen, Ministerien, Universitäten und europäischen Einrichtungen auf Einladung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei einem zweitägigen Symposion, das am Freitag in Hannover zu Ende ging, diesen Fragen annahmen. Speziell ging es um die Auswirkungen des Gemeinschaftsrechtes auf das in Deutschland gewachsene Staatskirchenrecht, das der Staatsrechtler Axel von Campenhausen ein «für alle bekömmliches System» nannte. Besondere Aktualität erhielt das Treffen durch die kürzlich aufgenommenen Beratungen des Konventes zur Zukunft der Europäischen Union. Dieses Gremium soll Vorschläge erarbeiten zur Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Gemeinschaft und Mitgliedsstaaten, aber auch für eine europäische Verfassung und die Stärkung des Europäischen Parlaments. Der Bundestagsabgeordnete Peter Altmeier (CDU), stellvertretendes Mitglied im EU-Konvent, zeigte sich zuversichtlich, dass dieses Projekt von Erfolg gekrönt werde. Angesichts der Erweiterung müsse die EU ihre Handlungsfähigkeit wiedergewinnen. Seine Empfehlung lautet: Mehr Mehrheitsentscheidungen anstelle des bisherigen Prinzips der Einstimmigkeit. Im Hinblick auf die Verfassung empfiehlt er einen «kurzen und lesbaren Text» mit maximal 200 Artikeln. Eckhart von Vietinghoff, EKD-Ratsmitglied, erinnert an die jahrzehntelange «Kirchenblindheit» der Europäischen Gemeinschaft, in der sich zunächst alles um Kohle, Stahl und Agrarmärkte drehte. Weil Europa und seine Kultur maßgeblich vom Christentum beeinflusst sind, dürfe die EU nicht im Stadium der «Religions- und Kirchenblindheit» verharren. Die im Amsterdamer Vertrag 1997 auf Drängen der Kirchen verankerte Erklärung, wonach die EU den Status der Kirchen achtet, sei zu defensiv und nicht ausreichend, so sein Befund. Der eher abgrenzende Status-quo müsse überwunden werden, wirbt Vietinghoff zu Gunsten einer Sichtweise, die stärker die aktive Rolle der Kirche aufnimmt und diese nicht marginalisiert. Auf lange Sicht, erwartet der Kirchenjurist, bedarf das Verhältnis der EU zu den Kirchen einer rechtlichen Fundierung. Wenn es dabei zur Durchlüftung des deutschen Systems der Beziehungen von Staat uns Kirche komme, wäre dies nicht unbedingt ein Nachteil, so Vietinghoff. Weder das ausdifferenzierte deutsche Staatkirchenrecht noch die strikte Trennung, wie sie in anderen Ländern Praxis ist, werden nach seiner Einschätzung für das europäische Modell die Vorlage liefern. Dass aus Brüssel kein «Frontalangriff» auf das deutsche Staatkirchenrecht speziell den Körperschaftsstatus, zu erwarten ist, schlussfolgerte der Staatrechtler Michael Brenner von der Universität Jena. In absehbarer Zeit würden die Grundfestes des öffentlich-rechtlichen Status der Kirchen durch das Europarecht nicht erschüttert. Mittelbar werde der Körperschaftsstatus allerdings in die Zange genommen, lautet seine Einschätzung. Brenner rät den Kirchen, sich dem europäischen Integrationsprozess nicht zu verschließen, sondern ihre Vorstellungen und Ideen einzubringen. Nur dann werde es dauerhaft gelingen, das Gemeinschaftsrecht für das Religiöse zu sensibilisieren. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt der Frankfurter Rechtswissenschaftler Hermann Weber, der die Auswirkungen von EU-Regelungen auf Caritas und Diakonie beleuchtet. Übertriebene Befürchtungen seien nicht gerechtfertigt, gewisse Abstriche gegenüber dem herkömmlichen Status allerdings nicht auszuschließen.