Wenn Kinder trauern - Erwachsenen fehlen oft die Worte

Von Marion Menne Köln (epd). Wenn Kinder trauern, sind Erwachsene oft hilflos. Weinkrämpfe, Wutanfälle, und schon gehen sie spielend wieder zum Tagesgeschäft über. Kinder trauern auf Raten und sehr intensiv, warnen Psychologen und Pädagogen. Professionelle Trauerbegleitung für die Kleinen ist in Deutschland jedoch rar. Manchmal sind es die ganz einfachen Dinge, die viel bewirken. Kais lieber Opa war schon ein Jahr tot, als die Grundschulklasse einen Ausflug zum Dorffriedhof machte. Jedes Kind durfte den anderen das Grab von dem Menschen zeigen, der ihm am nächsten stand. Und mit einem Mal erkannte Kai, dass er nicht allein ist. «Dieses Gefühl konnten wir ihm nicht vermitteln», erzählt seine Mutter. «Danach lebte er richtig auf.» «Opa Franz» war Kais bester Freund. Er lebte mit im Haus, nahm ihn mit zu seinen Schafen, zeigte ihm die Gänse am Fluss. Wenn Kindergeburtstag war, saß er an der Kaffeetafel neben ihm. Als der Opa starb, reagierte der Junge aggressiv, besonders, wenn seine kleine Schwester fragte: «Wann kommt Opa Franz denn wieder?» Dann schnauzte er sie an: «Der kommt nie mehr wieder, der ist tot!» Bilderbücher über den Tod? Therapien für trauernde Kinder? Die Hilfe ist rar, mussten auch Kais Eltern feststellen. Eine der wenigen Anlaufstellen ist das Institut für Trauerarbeit in Hamburg, das der Evangelischen Akademie Nordelbien angeschlossen ist. Hier bekommen Kinder und Jugendliche in der Gemeinschaft mit anderen ein Forum für ihre Klage, wie es Anja Wiese, eine der Leiterinnen, ausdrückt. Denn: «Verhinderte Klage behindert Leben.» Besonders Jugendliche machten in der Gruppe «unglaubliche Erfahrungen». «Sie hocken die halbe Nacht am Kamin und reden, reden, reden», erzählt Wiese. Endlich hätten sie das Gefühl, angenommen zu werden. Dieses Gefühl hatte die heute 60-jährige Gertrud Ennulat aus Freiburg nicht. Als sie vier war, in der Nachkriegszeit, «als die Erwachsenen keine Worte hatten», starb ihr Bruder. In ihrem Schmerz hatten die Eltern keinen Blick für die «übrig gebliebene» Tochter. Erst viele Jahre später wurde ihr bewusst: «In mir lebt ein Kind, das nicht trauern durfte.» Heute gibt sie Seminare für einen besseren Umgang mit Kindern, die trauern. Die Pädagogin und Autorin betreute auch Hinterbliebene des Seilbahn-Unglücks in Kaprun. Tod und Sterben sollte man vor den Kindern nicht verbergen, so ihr Rat. Es sei gut, sie mit zu der Beerdigung zu nehmen, denn sie müssten die «richtige Reihenfolge» im Kopf haben: Krankheit, Sterben, Bestattung. Ein achtjähriger Junge zum Beispiel habe nicht gesehen, dass der Sarg unten auf dem Boden ankam und bekam Wutanfälle, weil seine Mutter ihn zu früh weggezogen hatte. «Ihm fehlte ein Schlussbild», sagt Ennulat. Und so kamen ihm Fantasien, die unheimlich angstbesetzt waren. Wichtig sei auch, den Kindern die Todesursache zu erklären. Manche fühlten sich schuldig, weil sie vielleicht nicht lieb genug waren, wie sie meinen. Ein krasses Beispiel ist der Achtjährige, der seinem Vater ein Glas Tee brachte, worauf dieser tot zusammenbrach. «Ich hätte nie gedacht, dass man von einem Glas Tee sterben kann», sagte er im Trauerseminar. Auf die Fragen, wo die Verstorbenen nun sind, seien keine schnellen Antworten gefragt, meint die Freiburger Pädagogin. Stattdessen sollten Erwachsene mit den Kindern gemeinsam Möglichkeiten überlegen. Das Kind suche sich dann selbst eine aus, zum Beispiel «Der Opa ist ein Stern», und hält darüber die Verbindung zu dem Toten. Wenn Kinder fragen, ob der Tote unten im Grab nicht friere oder nicht nass werde, sollte man auf diese Erlebniswelt eingehen, so Ennulat. «Mein Opa, der macht Nebel»,behauptete ein Fünfjähriger im Kindergarten. «Das machen alle Verstorbenen.» «Kinder haben ein Anrecht auf ihre eigene Vorstellung»,sagt Ennulat. «Religiöse Formeln» benutzt sie nicht. «Gott und Tod passen nicht zusammen», meint sie. Wenn man sage, «Gott hat deinen Vater heimgeholt», mache das den Kindern nur Angst. «Kinder trauern bunter»,ist ihre Erfahrung - und das kann auch Anja Wiese vom Institut für Trauerarbeit unterstreichen. Vier Mal im Jahr lädt das Hamburger Institut in seine Tagungsstätte Bad Segeberg (Schleswig-Holstein) zu Trauerseminaren für Kinder ein, unter Mottos wie «Wüstenwanderung auf der Suche nach Oasen». Bis zu 100 Teilnehmer seien immer dabei, heißt es. Viele nehmen mangels anderer Angebote einen langen Weg in Kauf und kommen aus Luxemburg, Österreich, der Schweiz. Das nächste, vom 31. Mai bis 2. Juni, bietet speziell Kindern, die Geschwister verloren haben, «Raum zur Klage».