Der Kelch im Computer

Von Annette Krauß München (epd). Karfreitag feiern evangelische Christen ein besonders festliches Abendmahl, um an den Kreuzestod Jesu zu erinnern. Dann stehen auf den Altären kostbare Abendmahlsgeräte, die so genannten «vasa sacra». Zuweilen sind die Kelche für den Wein und die Patenen, die Schalen für das Brot, schon einige hundert Jahre alt. Fachleute schätzen, dass in evangelischen Kirchen mehr gotische Kelche benutzt werden, als die katholische Kirche noch besitzt. So gehört der Kirche St. Nikolaus und Ulrich in Nürnberg-Mögeldorf ein vergoldeter Silberkelch, der um 1510 im siebenbürgischen Bistritz hergestellt wurde. Dieser besonders schöne spätgotische Kelch mit seinen filigranen Ornamenten wird nur zu feierlichen Anlässen in der Gemeinde benutzt und ist wegen seines hohen Wertes sicher verwahrt. Per Mausklick erscheint das Prunkstück inzwischen auch auf dem Bildschirm von Helmut Braun im Münchner Landeskirchenamt. Der Kunsthistoriker inventarisiert seit sieben Jahren mit einigen Mitarbeitern die Kunstschätze der evangelischen Kirche in Bayern. In dem Computerprogramm, das eigens für Museen entwickelt und für die kirchliche Anwendung eingerichtet wurde, sind etwa 10.000 Objekte gespeichert. Bisher wurden Kunstschätze in Nürnberg, Fürth und Bad Windsheim, in München, Rothenburg und Gunzenhausen erfasst. In Erlangen läuft gerade ein Projekt mit Studenten am Lehrstuhl für christliche Archäologie, die anhand der Kirchenschätze lernen, Objekte detailliert zu beschreiben und zu bewerten. Vom Nutzen des Computerprogramms ließen sich kürzlich auch einige Vertreter der nordelbischen Kirche bei einem Besuch in München überzeugen. Jetzt will man im hohen Norden Deutschlands ebenfalls mit der Erfassung der Kirchen-Kunst beginnen. Zur «Arbeitsgemeinschaft Inventarisation in der Evangelischen Kirche in Deutschland» gehören auch die Landeskirchen von Mecklenburg, Kurhessen-Waldeck, Württemberg, Hannover und Sachsen. Wie viele Objekte in den evangelischen Kirchen Bayerns noch erfasst werden müssen, darüber kann der Kunsthistoriker Braun nur spekulieren. «Vielleicht noch das Zehnfache», schätzt er, denn er vermutet, dass in Abstellräumen und auf Dachstühlen manche Überraschung wartet. Wenn er mit der Inventarisierung in einer Gemeinde beginnt, macht er zunächst einen Rundgang und nimmt Einblick in das Pfarrarchiv. Dann fotografiert, vermisst und beschreibt er alle Objekte - dazu gehört die feste Ausstattung mit Kanzel, Taufstein, Altar und Gestühl. Des weiteren wird die «Innenarchitektur» festgehalten, wie Glasfenster, Deckengemälde und Stuck. Glocken und Orgeln werden von eigenen Fachleuten inventarisiert. Viel Zeit braucht Braun für die bewegliche Ausstattung mit Plastiken und Gemälden, Textilien oder Büchern und liturgischem Gerät - von Kelchen über Kreuze bis zu Kerzenleuchtern. Der Nutzen einer solchen Erfassung ist vielfältig. Nach einer Empfehlung der evangelische Landeskirche in Bayern sind die Kunstgegenstände «Zeugnisse der Frömmigkeit der Kirchengemeinden und einzelner Kirchenglieder. Ihre Erhaltung und ihre Sicherung gegen Verlust ist Aufgabe und Verpflichtung jeder Kirchengemeinde». Inventarisierung ist also Öffentlichkeitsarbeit, aber jede Erfassung liefert auch «Steckbriefe» für die Polizei bei einem Diebstahl. Zugleich ist dies eine Dienstleistung für die Gemeinde, denn die Kunsthistoriker geben Empfehlungen für die Aufbewahrung und vermitteln Restauratoren, die die Schäden beheben können. Einen Diavortrag über die eigenen Schätze - und in Zukunft vielleicht sogar eine CD-ROM mit digitalen Bildern - ist das «Abschlussgeschenk» an die Gemeinde. Für Abendmahlskelche aus Silber bekommen die Pfarrer und Mesner von Helmut Braun eine Faustregel mit auf den Weg: «Durch Gebrauch werden sie erhalten.» Denn nur was benutzt wird, wird auch gepflegt.