Erdgipfel in Johannesburg - »Wir leben fünf vor zwölf«

Anke Hlauschka im Gespräch mit Mandred Kock (SWR 2 - Tagesgespräch)

26. August 2002


Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Manfred Kock, hat die Bundesregierung aufgefordert, beim so genannten Erdgipfel in Johannesburg auf konkrete Vereinbarungen zum Klimaschutz und zur Bekämpfung der Armut zu drängen. Der Gipfel für nachhaltige Entwicklung dürfe nicht scheitern. "Wir leben fünf vor zwölf", warnte Kock im Südwestrundfunk (SWR). In den nächsten drei bis fünf Jahren müsse ein Rücksteuern sichtbar werden, sagte der EKD-Ratsvorsitzende, "sonst werden uns die Fluten überschwemmen".


Anke Hlauschka: Realisten gehen davon aus, dass es in Johannesburg wohl eher nicht um grundlegend neue Konzeptionen gehen wird. Aber dass doch Signale ausgesendet werden, an denen niemand vorbeikommt. Wann wäre für Sie dieser Gipfel ein Erfolg?

Manfred Kock: Ein Erfolg wäre der Gipfel, wenn die Beschlüsse von Rio de Janeiro in Johannesburg ein Stückchen intensiver formuliert und auch verbindlicher rezipiert werden. Das ist, glaube ich, das Entscheidende. 1992 in Rio sind ja ein paar vernünftige Impulse gegeben worden. Das Problem ist nur, sie sind vernachlässigt worden, die Ungleichheit ist gewachsen, die Handelsbedingungen sind von den Mächtigen so konstruiert worden, dass die Armut weiter gesteigert wurde.

Und jetzt zeigt sich aber an vielen Ereignissen, an der Dramatik des Terrorismus, an dem Elend dieser Welt, an den Klimafolgen auch bis hin in die Hochwassergeschichten hinein: Wir leben fünf vor zwölf! Und Johannesburg wäre ein Erfolg, wenn dieses jetzt erneut bewusst würde und dann auch endlich wirklich in konkretes Handeln weltweit münden könnte.


Johannesburg muss ein Erfolg werden, weil die Welt sich keinen Misserfolg leisten kann, stellte EU-Kommissionpräsident Romano Prodi fest. Haben Sie den Eindruck, die für diese Welt Verantwortlichen sind sich dessen bewusst?

Ich glaube, sie sind sich schon dessen bewusst. Aber diese Entscheidungen, die politisch getroffen werden, müssen immer eine Zukunft betreffen. Eine Verantwortung auch für kommende Generationen - das ist wahnsinnig schwer zu vermitteln. Und ich glaube auch, eine Entwicklung dieser Welt kann ja nicht so stattfinden, dass die so genannte Dritte Welt mit einem Zauberwort in den Zustand des Reichtums der Ersten Welt hineingerät. Das heißt also, politisch muss auch so etwas wie Verzicht formuliert werden. Und das ist für politische Systeme, die ja alle vier Jahre auf das Wohlverhalten ihrer Wähler angewiesen sind, nicht so einfach durchzusetzen.

Und darum muss Meinungsbildung entstehen, darum müssen Menschen in den Staaten selbst auch wach werden und wissen, wir leben nicht nur von der Hand in den Mund, sondern wir leben in einem komplexen Schöpfungssystem, das wir nicht zerstören dürfen.


Das heißt zum Beispiel für die deutsche Politik was? Deutschland ist ein reiches Land, in dem auch viel über Nachhaltigkeit gesprochen wird. Was erwarten Sie konkret von den Vertretern der Bundesregierung, die jetzt nach Johannesburg gereist sind?

Also ich möchte, dass sie sich mit einsetzen dafür, Vereinbarungen auch wirklich zu realisieren. Dass umweltverträglich gewirtschaftet wird, dass sozialverträglich gehandelt, dass friedensverträglich miteinander vereinbart wird. Ich erwarte, dass die Zielvorstellungen nicht nur Papier sind, sondern dass sie wirklich auch in reale Umsetzung hineinkommen durch internationale Vereinbarungen. Einen dritten Weg gibt es ja nicht.


Die Weltbank hat ausgerechnet, dass die Bevölkerung in den nächsten 50 Jahren von jetzt sechs auf neun Milliarden Menschen steigen wird. Und schon jetzt leben ja 1,3 Milliarden in Regionen, deren Umwelt stark zerstört ist, in extrem lebensfeindlichen Gebieten. Was kann ihnen konkret helfen? Die können ja nicht warten, dass irgendwelche Entwicklungen, die heute angestoßen werden, in 30, 40 Jahren greifen.

Das ist richtig. Und deshalb müssen viele Maßnahmen auch schnell umgesetzt werden. Ich glaube, dass wir nicht mehr lange Zeit haben. Wir müssen zu einer Veränderung unseres Umweltverhaltens kommen - unverzüglich. Und unverzüglich, das heißt, in den nächsten 3, 4, 5 Jahren muss sichtbar werden, dass hier zurückgesteuert wird. Sonst sind wir mit den Schätzen dieser Welt falsch umgegangen. Und die Fluten werden uns überschwemmen.


Aber niemand kann doch das Rad zurückdrehen. Die Globalisierung ist einfach eine Tatsache. Und damit ein Teil der Menschheit, der auf Wettbewerb setzt, auf Machtkampf, auch sich manchmal nach den Regeln des Marktes durchboxen muss. Wie wollen Sie denn da Verantwortungsgefühl gegenüber dem anderen Teil der Menschheit stärken. Sie haben es ja gerade auch angesprochen, den alten Gedanken der Solidarität voranbringen?

Globalisierung ist ja kein Naturereignis, sondern kann gestaltet werden. Und muss gestaltet werden. Und diejenigen, die jetzt meinen, kurzfristig von ihr etwas zu gewinnen, und von denen Sie gerade gesprochen haben, dass sie kaum aus ihrem Trott herauszubringen wären, die werden doch auch überzeugt werden durch die Fakten, die in dieser Welt stehen.

Sie haben gerade von dem enormen Bevölkerungswachstum gesprochen und die Auswirkungen, was eigentlich passiert, wenn die Elendswanderungen weitergehen. Die sind ja doch eigentlich auch fast jedem Menschen inzwischen klar. Und insofern glaube ich schon, dass wir politische Regeln einführen können, in denen die Globalisierung gezähmt wird.


Dieser Gipfel von Johannesburg wird sich daran messen lassen müssen, wie konkret die Verpflichtungen der Weltgemeinschaft sein werden. Was ist denn, wenn sich die internationale Staatengemeinschaft nicht handlungsfähig zeigt, wenn die Konferenz nichts Rechtes zustande bringt, eigentlich scheitert?

Ja, dann wird wahrscheinlich noch eine Steigerung von Katastrophen irgendwann eine neue Runde hervorrufen. Und möglicherweise sind dann wieder Chancen vertan. Ich glaube die Tatsache, dass nun eben auch 40.000 Nicht-Regierungsorganisationen da sind, ist ja ein Zeichen dafür, dass es weltweit doch eine Bewegung gibt in der Bevölkerung, etwas zu ändern. Damit die Regierenden selbst jetzt nicht nur nach den kurzfristigen Vorteilen ihre Politik gestalten, sondern eben auch in Verantwortung vor der Zukunft.

Quelle: SWR 
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