"Pfarramt und PDS-Mitgliedschaft sind nach meinem Verständnis unvereinbar"

Der EKD-Ratsvorsitzende im "Neuen Deutschland"

30. Juli 2004


Von Bischof Dr. Wolfgang Huber

Politische Mitverantwortung ist für evangelische Christen ein wichtiges Thema. Ein wichtiges Dokument hat das einmal so begründet: »Christen verstehen ihre politische Existenz als den ihnen von Gott zugewiesenen Beruf im Alltag der Welt, sei es als Bürger und Wähler, Mitglieder einer Partei oder Mandatsträger. Dazu sehen sich Christen berufen, weil sie ihren Auftrag von Gott darin erkennen, für die Würde des Menschen und darum für Freiheit und Gerechtigkeit einzutreten.«

Es war die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland »Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe« aus dem Jahre 1985, die mit diesen Worten die Wurzel politischer Verantwortung von Christinnen und Christen in unserer Gesellschaft beschrieb. Die Verantwortung vor Gott schließt nach christlichem Verständnis das politische und gesellschaftliche Engagement ein. Politische Verantwortung ist ein Ausdruck der Nächstenliebe. Christen kann es nicht gleichgültig sein, ob Politik dem Wohl und den Interessen der Menschen dient. Denn sie sind alle von Gott angenommen und mit einer unveräußerlichen Würde begabt.

Unter diesem Gesichtspunkt ist es nur folgerichtig, dass sich viele Christinnen und Christen in gesellschaftlichen Gruppierungen, bürgerschaftlichen Institutionen und politischen Parteien engagieren. Es sollten nicht weniger, es sollten mehr sein, die das tun. Nicht immer war das in Deutschland möglich. Dass es heute als selbstverständlich gilt, ist ein Grund zu großer Dankbarkeit.

Es sollte im Gedächtnis bleiben, dass die friedliche Revolution in der DDR ihren Anfang in den Kirchen nahm. Werte und Normen, die aus christlichen Glaubensgrundsätzen entwickelt wurden, waren für den Aufbruch entscheidend. Zu diesen Werten gehören die Würde der menschlichen Person, die als Grenze staatlicher Machtausübung geltend gemacht wird, die elementaren Menschenrechte, zu denen auch die Freiheit des Einzelnen gehört; die Kultur der wechselseitigen Achtung, in der sichergestellt wird, dass Unterschiede der Überzeugung nicht mit Gewalt oder Unterdrückung, sondern in einer Atmosphäre der Toleranz und des Respekts ausgetragen werden, und der Wunsch nach bürgerschaftlichem Engagement, das sich auch in der Mitwirkung und Mitbeteiligung an politischen Prozessen zeigt.

Von diesen Grundüberzeugungen getragen, haben ungezählte Christen in Ost und West wirkungsvoll am Aufbau der Demokratie und an ihrer Erhaltung mitgearbeitet. Diese Mitarbeit entspricht der theologisch und ethisch begründeten positiven Beziehung von Christen zum demokratischen Staat und der Nähe seiner Grundorientierung zum christlichen Menschenbild.

»Auch der kirchliche Amtsträger ist ein Staatsbürger und hat als solcher gleiche Rechte und Pflichten wie jeder andere Christ und Bürger. Er steht aber zugleich in einer besonderen Pflicht zur Verkündigung des Evangeliums und zur Seelsorge und vertritt die Kirche.«

In der erwähnten Denkschrift der EKD findet sich auch diese Aussage. Ja, auch Pfarrer können Mitglieder einer politischen Partei sein. Ob eine solche öffentliche Parteinahme für eine politische Richtung mit dem ihnen anvertrauten Amt vereinbar ist, muss im Einzelfall im Gespräch mit der Gemeinde wie mit den Kolleginnen und Kollegen im Pfarramt geklärt werden. Denn die Freiheit, mit der Gottes Wort verkündigt wird, darf nicht dadurch gefährdet werden, dass Pfarrerinnen und Pfarrer sich institutionell einer bestimmten politischen Richtung verpflichten. Parteien zeichnen sich durch bisweilen auch zugespitzte programmatische Aussagen aus, die – durchaus demokratisch – der Mehrheitsmeinung ihrer Mitglieder entsprechen. Aber auch taktische Überlegungen spielen im Handeln von Parteien eine Rolle. Selbst wenn sie die notwendige Distanz zu Entscheidungen ihrer eigenen Partei halten können, stehen in einer Partei aktive Pfarrer in der Gefahr, in eine bestimmte Schublade gepackt zu werden. Nicht nur die Freiheit der Verkündigung kann dadurch gefährdet werden, sondern auch der seelsorgerliche Zugang zu den Gliedern der Gemeinde.

Vertretung von Gemeinde und Partei: Problematische Doppelrolle

Pfarrerinnen und Pfarrer sind überdies auch immer Repräsentanten ihrer Gemeinde nach außen. Diese Rolle mit einer Parteizugehörigkeit zu verbinden, ist sicherlich nicht unmöglich. Spätestens dann jedoch, wenn die Gemeinde als Teil des Gemeinwesens gegenüber politischen Gremien vertreten werden muss, wird die Doppelrolle von Vertretung einer Kirchengemeinde und einer bestimmten Partei problematisch.

Meine Bedenken gegen eine Parteizugehörigkeit von Pfarrerinnen und Pfarrern werden verstärkt, wenn es um die PDS geht – sowohl aus grundsätzlichen Erwägungen heraus als auch aufgrund des besonderen seelsorgerlichen Auftrags, den Pfarrerinnen und Pfarrer in ihren Gemeinden wahrnehmen.

Ressentiments gegenüber der Kirche – bis zum heutigen Tag

Ressentiments von Politikern und Mitgliedern der PDS gegenüber Kirche und Religion erleben Amtsträger und Mitglieder der Kirchen – trotz wohllautender Aussagen zur Religionsfreiheit im Parteiprogramm – bis zum heutigen Tag. Ein inneres Verständnis dafür, dass Religion einen Ausdruck der menschlichen Suche nach dem Sinn des Lebens und damit ein Kernelement menschlicher Existenz bildet, ist nach meiner Wahrnehmung und nach meinem Erleben in der PDS und bei vielen ihrer Mitglieder nicht beheimatet. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der zurückhaltenden Skepsis gegenüber der rechtlichen Stellung der Kirchen in unserem Land. Die wechselseitige Unabhängigkeit von Staat und Kirche und die Freiheit der Religionsausübung von allem staatlichen Zwang hat hier zu Lande die Konsequenz, dass Kirchen und Religionsgemeinschaften ihre Angelegenheiten frei von staatlicher Bevormundung ausüben können. Dies wird durch unser Grundgesetz garantiert. Wer diese Art von Unabhängigkeit lediglich als Privileg abtut, dem eine Rechtfertigung fehle, hat die Rolle, die Kirchen und Religionsgemeinschaften für die Freiheit des Einzelnen innehaben, noch nicht verstanden.

Das Grundrecht der Religionsfreiheit enthält sowohl eine positive als auch eine negative Komponente. Dieses Grundgesetz schützt sowohl die Religionsausübung als auch die freie Entscheidung des Einzelnen, auf ein religiöses Bekenntnis zu verzichten. Die von der PDS veranlassten Änderungen im Entwurf des Berliner »Neutralitätsgesetzes«, das im Zuge der Debatte über die politische Bedeutung eines Kleidungsstücks alle religiösen Symbole aus den Schulen verbannen will, berücksichtigen diese doppelte Bedeutung der Religionsfreiheit nicht. Solche Vorschläge orientieren sich vielmehr allein an der negativen Religionsfreiheit. So aber wird die Freiheit der Religion auf den Schutz ihrer Nichtausübung reduziert.

Die Vorbehalte in den Kirchen gegenüber der PDS speisen sich aber zugleich aus der Frage, wie diese Partei mit ihrer eigenen Vergangenheit umgeht. Bis heute warten viele Menschen darauf, dass die Partei, die sich in ihrem Parteiprogramm ausdrücklich zu ihrem Hervorgehen aus der SED bekennt, das dunkle Kapitel der Verfolgung von Christinnen und Christen in der DDR offen thematisiert. In ihrem Parteiprogramm sucht man – selbst unter der Überschrift »Veränderung mit der PDS – Selbstveränderung der PDS« – nach einer Aussage hierzu vergeblich. Viele Mitglieder meiner Kirche, die noch immer an den ihnen damals zugefügten inneren und äußeren Verletzungen leiden, hätten keinerlei Verständnis dafür, wenn sich ihre Seelsorger gerade den – wenn auch zu einem guten Teil geläuterten – Erben der SED anschlössen. Die Folgen der Verweigerung von Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten, die Auswirkungen des Ausschlusses aus der Gesellschaft, die Erinnerung an Entwürdigung und Haft und die aus all dem resultierenden Brüche in den persönlichen Lebensläufen wirken bis heute nach. Dabei geht es ebenso um die psychischen Folgen solcher Brüche wie um ihre materiellen Konsequenzen, die sich beispielsweise in geringen Renten zeigen. Viele Menschen empfinden das Verhalten der PDS zu dieser Verhinderung von Lebensmöglichkeiten und zu diesem Abbruch von Biografien als unklar; für Menschen, die derart traumatische Erfahrungen gemacht haben, wird es ein unbefangenes Zugehen auf die PDS in absehbarer Zeit nicht geben können. Die Vorstellung von einem »PDS-Pfarrer« würde deshalb unweigerlich zu einer Entfremdung zwischen Gemeindeglied und Seelsorger führen.

Dem Gespräch mit der PDS keineswegs verschlossen

Auch wenn nach meinem Verständnis Mitgliedschaft und Mitarbeit in der PDS mit dem Pfarramt unvereinbar sind, heißt dies keineswegs, dass ich mich dem Gespräch mit der PDS verschließe. Themen eines solchen Gesprächs beziehen sich auf die Tagespolitik ebenso wie auf Tradition und Selbstverständnis der PDS. Ich respektiere, dass es in der PDS bekennende Christen gibt. Und ich begrüße es, dass Landes- wie Bundespolitiker der PDS den Kontakt zu den Kirchen suchen. Als demokratisch gewählte Abgeordnete oder als Mitglieder von Regierungen gehören sie zu denjenigen, mit denen wir über die Zukunft unserer Gesellschaft und über die konkrete Gestaltung von Freiheit und Gerechtigkeit zu sprechen haben. Auch in Berlin habe ich dazu Gelegenheit.

Bischof Dr. Wolfgang Huber ist Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland und Bischof der Evangelischen Kirche Berlin – Brandenburg – schlesische Oberlausitz.

Quelle: Neues Deutschland, Ausgabe vom 30. Juli 2004