Bilateraler Theologischer Dialog zwischen Rumänischer Orthodoxer Kirche und der EKD

Kommuniqué der 10. Begegnung

25. November 2002


KOMMUNIQUÉ

der 10. Begegnung im bilateralen Theologischen Dialog zwischen der Rumänischen Orthodoxen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland (Goslar X)

I.
Vom 14. bis 20. November 2002 fand das 10. Gespräch im  bilateralen Theologischen Dialog zwischen der Rumänischen Orthodoxen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland (Goslar X) statt. Hierzu hatte die Rumänische Orthodoxe Kirche nach Cluj-Napoca (Klausenburg) eingeladen.

An dem Gespräch nahmen teil

von der Evangelischen Kirche in Deutschland:

S. E. Bischof Dr.h.c. Rolf Koppe, Leiter der Ökumene- und Auslandsarbeit der EKD, (Delegationsleiter)
Wiss. Assistent Dr. Reinhard Flogaus
Pfarrerin Dr. Katharina Gaede
Pfarrerin Oberkirchenrätin Dr. Dagmar Heller
Pfarrer Professor Dr. Jörg Jeremias
Pfarrer Professor Dr. Heinz Ohme
Pfarrer Professor Dr. Adolf Martin Ritter
Pfarrer Johannes Toaspern
Pfarrerin Katharina Töns

Pfarrer Professor Dr. Reinhard Thöle (Berater)
Cand.theol. Christoph Rummel (Gast)


von der Rumänischen Orthodoxen Kirche

S. E. Metropolit Dr. Serafim Joanta von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa, (Delegationsleiter)
Pfarrer Professor Dr. Viorel Ionita
Pfarrer Professor Dr. Mircea Basarab
Pfarrer Professor Dr. Nicolae Achimescu
Pfarrer Professor Dr. Valer Bel
Diakon Conferentiar Dr. Ioan Caraza
Diakon Conferentiar Dr. Dorin Oancea
Pfarrer Conferentiar Dr. Ioan Tulcan
Pfarrer Conferentiar Dr. Nicolae Chifar
Pfarrer Lektor Dr. Constantin Patuleanu
Pfarrer Assistent Dr. Daniel Benga
Pfarrer Dr. Vasile Pop (Vertreter des Rumänischen Patriarchats Bukarest)
Pfarrer Professor Dr. Ioan-Vasile Leb (Beobachter, Theologische Fakultät Cluj)
Erzdiakon Assistent Stefan Iloaie (Vertreter der Erzdiözese Cluj)
Radu Preda (Beobachter, Erzdiözese Cluj)
Dr. Gabriela Trambitas (Gast)
Stud. Mag. Adriana Jucan (Gast)
Bogdan Ivanov (Steward)

als Beobachter
aus der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien

Pfarrerin Elfriede Dörr
Pfarrer Daniel Zikeli


II.
Die 10. Begegnung im bilateralen Dialog zwischen der Rumänischen Orthodoxen Kirche und der EKD stand unter dem Thema

„Das Wesen und die Einheit der Kirche Christi – die Verschiedenheit der Kirchen in der Geschichte“.

Folgende theologischen Hauptreferate wurden gehalten:

  • Dagmar Heller: Die eine Kirche Jesu Christi und die Verschiedenheit der Kirchen heute im Kontext der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
  • Viorel Ionita: Die eine Kirche Christi und die Verschiedenheit der Kirchen heute
  • Heinz Ohme: Einheit und Verschiedenheit am Beispiel des Concilium Quinisextum
  • Nicolae Chifar und Constantin Patuleanu: Die historische Entwicklung der Kirchenvielfalt
  • Jörg Jeremias: Die alttestamentlichen Voraussetzungen des neutestamentlichen Kirchenbegriffs
  • Mircea Basarab: Das Wesen und die Einheit der Kirche im Neuen Testament
  • Adolf Martin Ritter: Zum Problem von “Einheit und Vielfalt altkirchlicher Ekklesiologie” – Gedanken und Impulse
  • Ioan Caraza: Die Lehre des heiligen Basilius des Grossen über das Wesen und die Einheit der Kirche und ihre ökumenische Relevanz heute

Mit der Bestimmung des je eigenen Kirchenverständnisses und der Frage nach der Verwirklichung der einen Kirche Jesu Christi haben wir bei dieser Begegnung eine, wenn nicht sogar überhaupt die Kernfrage des theologischen Dialogs zwischen unseren Kirchen berührt. Aus unterschiedlichen Perspektiven und von verschiedenen Kontexten herkommend, wurde von uns in diesem Dialog die Frage nach dem Wesen der Kirche und dem Grund ihrer Einheit gestellt. Gemeinsam haben wir zu klären versucht, wie und unter welchen Bedingungen die Verschiedenheit unserer getrennten Kirchen so miteinander versöhnt werden könnte, dass die von uns geglaubte Einheit der Kirche Jesu Christi auch in der eucharistischen Gemeinschaft zwischen unseren Kirchen ihren sichtbaren Ausdruck finden könnte.

Zu Beginn unseres Gespräches hat D. Heller das Problem von Einheit und Vielfalt am Beispiel der Verwirklichung von Gemeinschaft bekenntnisverschiedener Kirchen im Bereich der EKD erläutert und dann in einem zweiten Schritt verschiedene ekklesiologische Modelle und Konzepte zur Wiedererlangung der Einheit aus der jüngeren ökumenischen Diskussion vorgestellt. Mehrere im Bereich der EKD oder unter Beteiligung der EKD entstandene Modelle der Kirchengemeinschaft wurden von V. Ionita in seinem Referat auf ihre Vereinbarkeit mit der orthodoxen Ekklesiologie hin befragt und mit dem Verständnis der Einheit der Kirche in der rumänischen Theologie verglichen. Dabei wurde betont, dass die lokale Kirche in ihrer Eigenschaft als eucharistische Gemeinschaft Kirche nur in eucharistischer Gemeinschaft und in der Gemeinschaft des Glaubens mit den anderen lokalen Kirchen sein kann und alle gemeinsam die eine Kirche Jesu Christi bilden.

Aus historischer Perspektive hat sodann H. Ohme auf die mehrfach in der Geschichte der Kirche zu beobachtende Gefahr hingewiesen, dass eine legitime, mit dem apostolischen Erbe vereinbare kirchliche Vielfalt von einer Tendenz zur Vereinheitlichung und zur Verabsolutierung einer einzigen Tradition verdrängt wird. Von orthodoxer Seite haben N. Chifar und C. Patuleanu in ihrem Referat anhand der wechselvollen Geschichte der Beziehungen zwischen Ost- und Westkirche im ersten Jahrtausend die legitime kirchliche Vielfalt einerseits und kirchentrennende Differenzen andererseits dargestellt und Umfang und Grenzen einer legitimen kirchlichen Vielfalt aufzuzeigen versucht.

Aus exegetischer Perspektive erläuterte J. Jeremias die unterschiedlichen Vorläuferbegriffe des Alten Testaments für das, was das Neue Testament Kirche nennt, und führte dabei aus, dass interessanterweise das Kennzeichen der Heiligkeit der Gottesgemeinde im Alten Testament überwiegend negativ formuliert worden ist, wie etwa das Beispiel des Dekalogs zeige. Als ein weiterer wichtiger Text kann in diesem Zusammenhang Ex 19,3b –6 gelten, wo alle Glieder der Gemeinde als Priester in einer unmittelbaren Gottesbeziehung stehen und die Gemeinde zum Modell für die Völker wird. M. Basarab legte dar, dass “ekklesia” im Neuen Testament stets die eine Ortskirche bezeichne, die durch eine gemeinsame Eucharistie gekennzeichnet ist. Die Einheit im Glauben, in der Beständigkeit der Lehre der Apostel und der Gemeinschaft im Brotbrechen (Apg 2,42) bedeutet dabei keineswegs eine Einförmigkeit der Ortskirchen, sondern eine Einheit in Vielfalt der Ausdrucksformen.

A. M. Ritter schilderte in seinem Vortrag die ekklesiologische Vielfalt im Neuen Testament, die belegt, dass die frühe Kirche keine Uniformität kannte und sich zum Beispiel in der Kanonisierung der neutestamentlichen Schriften für “versöhnte Verschiedenheit” entschied und dabei die vielfältigen Spannungen ausgehalten und das Band der Einheit bewahrt hat. In diesem Zusammenhang wurde auch die bis heute ausstehende Rezeption der Konsensgespräche zwischen den chalkedonensisch-orthodoxen und den orientalisch-orthodoxen Kirchen erwähnt, die auf ein ekklesiologisches Problem hinweise, nämlich auf die schwierige Frage der Geltung der Ökumenischen Konzilien. Als ein Beispiel für die orthodoxe Auffassung über das Wesen und die Einheit der Kirche referierte J. Caraza über die Lehre von der Einheit der Kirche im Heiligen Geist am Beispiel der Schriften des Hl. Basilius des Grossen, nach welchen die Einheit im Heiligen Geist durch Christus die Grundlage der Einheit der Kirche ist. Dabei gehöre zur Wirklichkeit der altkirchlichen Ekklesiologie durchaus auch eine Vielfalt in der Organisation.

III.
Gemeinsam haben wir in diesem Dialog nach unserem spezifischen Verständnis des Wesens der Kirche, der in Christus bestehenden Einheit und Bedingungen für die Verwirklichung der sichtbaren Einheit in der eucharistischen Gemeinschaft gefragt.

Die EKD ist nach ihrem Selbstverständnis eine Gemeinschaft von Kirchen unterschiedlichen Bekenntnisses. Ihre Gliedkirchen sind selbständig in ihren Ordnungen und ihrer Lehre, zugleich besteht zwischen ihnen auf Grund gründlicher Lehrgespräche zwischen lutherischen und reformierten Kirchen Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Kirchengemeinschaft in dieser Form wird von der EKD verstanden als Ausdrucksform der sichtbaren Einheit der Kirche Jesu Christi. Nach Art. 7 der Confessio Augustana genügt es für die Einheit der Kirche, dass „das Evangelium rein gepredigt und die Sakramente dem Wort Gottes gemäss gespendet” werden. Die damit konstituierte Gemeinschaft von Glaubenden braucht allerdings eine äussere Ordnung. Zentral für diese Ordnung ist das Predigtamt, das nach CA 5 von Gott eingesetzt ist. Die Ausgestaltung dieses Amtes, mit dessen Hilfe die Kirche ihren Auftrag in den wechselnden geschichtlichen Situationen wahrnimmt, ist allerdings wandelbar. Die evangelischen Kirchen unterscheiden zwischen dem Grund der Kirche und deren Gestalt. Der Grund der Kirche ist nach 1. Kor. 3,11 allein Jesus Christus. Die verschiedenen kirchlichen Dienste sowie die äussere Ordnung der Kirche sind hingegen wandelbar.

Die rumänisch-orthodoxen Theologen sind der Überzeugung, dass die orthodoxe Kirche mit der einen Kirche Jesu Christi identisch ist und sich in einer ununterbrochenen Kontinuität mit der Kirche der apostolischen Zeit befindet. “Sie hat Christus selbst, der mit seinem geopferten und auferstandenen Leib in ihr gegenwärtig ist, zu ihrer tiefsten Grundlage. Ihre Einheit ist ontologischer Art oder besser gesagt, sie ist eine über-ontologische Einheit” (Dumitru Staniloae). In ihrer Lehre, ihrer Gestalt und in ihren Strukturen bewahrt sie die ganze Wahrheit des Glaubens so, wie diese durch Christus den Aposteln offenbart worden ist und von Generation zu Generation erfahren wird.

Wir stellten Übereinstimmungen in unseren jeweiligen Kirchenverständnissen fest, die jedoch noch begrenzt sind. Auf dem Hintergrund des skizzierten ekklesiologischen Selbstverständnisses beider Kirchen gibt es in wesentlichen Bestandteilen eine bemerkenswerte Konvergenz.

In unseren Gesprächen haben wir uns auch mit dem Begriff „koinonia” befasst, der im ökumenischen Dialog eine wichtige Rolle spielt und auch in der Studie „Das Wesen und die Bestimmung der Kirche” der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung aufgegriffen worden ist. Allerdings impliziert der Begriff “koinonia” für die orthodoxe Kirche immer auch die eucharistische Gemeinschaft, so dass er für die Beschreibung der bisher erreichten Gemeinsamkeit zwischen unseren Kirchen nicht geeignet erscheint und unter Umständen die tatsächlich noch vorhandenen Unterschiede verwischt.

Die Dialogteilnehmer befassten sich auch mit der im Abschlussbericht der Sonderkommission zur Mitarbeit der Orthodoxen Kirchen im ÖRK vorgeschlagenen Unterscheidung zwischen Kirchen „die sich mit der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche identifizieren“, und solchen Kirchen „die sich als Teil der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche verstehen“. Im Verlauf der Diskussion zeigte sich jedoch, dass diese Differenzierung nur bedingt zur Beschreibung des jeweiligen Selbstverständnisses unserer Kirchen geeignet ist.

Zwar geht die Orthodoxe Kirche in der Tat in ihrem ekklesialen Selbstverständnis davon aus, dass sie mit der einen Kirche Jesu Christi „identisch“ ist, doch soll damit gerade kein Absolutheitsanspruch gegenüber anderen Kirchen erhoben werden. Es gibt jedoch orthodoxe Theologen, die die Grenzen der Kirche Jesu Christi mit der kanonischen Kirche in eins setzen. Die Rumänische Orthodoxe Kirche ist sich jedoch dessen bewusst, dass auch in anderen Kirchen der ungeteilte Christus gegenwärtig ist, und lehnt es deshalb ab, die eine Kirche Jesu Christi mit einer bestimmten historisch vorfindlichen lokalen Kirche in exklusiver Weise zu identifizieren.

Umgekehrt bedeutet die in der Leuenberger Konkordie formulierte Überzeugung, dass die evangelischen Kirchen „an der einen Kirche Jesu Christi teilhaben“ (LK 34) nicht, dass diese Kirchen in dem Sinne Teilkirchen sind, dass nur in ihrer Gesamtheit Christus in ungeteilter Weise gegenwärtig wäre. Vielmehr soll mit dieser Formulierung zum Ausdruck gebracht werden, dass jede Kirche die jeweils anderen insofern als Teil des universalen Leibes Christi anerkennt, als in einer jeden von ihnen die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche des Glaubensbekenntnisses in je spezifischer Weise Gestalt gewonnen hat.

Trotz der unterschiedlichen Terminologie sind sich deshalb unsere Kirchen bei der Beschreibung ihres jeweiligen ekklesiologischen Selbstverständnisses insofern in der Sache einig, als sie sich selbst jeweils als vollgültige Verwirklichung der einen Kirche Jesu Christi begreifen. Gemeinsam ist uns auch das Bewusstsein der Vorläufigkeit der irdischen Gestalt der einen Kirche Jesu Christi und ihr Hingeordnetsein auf die Vollendung im Reich Gottes.

Übereinstimmung herrschte zwischen unseren Delegationen auch in der Überzeugung, dass es in der Geschichte der Kirche stets eine legitime Vielfalt der theologischen Ausdrucksweise, der kirchlichen Ordnungen und Riten sowie der Glaubenspraxis gegeben hat und dies auch weiterhin geben wird. Diese Vielfalt wird manchmal einerseits von einer Tendenz zur Verabsolutierung der einen oder anderen lokalen Tradition als der allein apostolischen und daher auch allein legitimen Praxis bedroht. Andererseits kann diese Vielfalt der kirchlichen Praxis, die ihren Grund in der Vielstimmigkeit des apostolischen Zeugnisses hat, auch nicht unbegrenzt sein und darf keinesfalls mit Beliebigkeit verwechselt werden. Aufgrund des unbestreitbaren Zusammenhangs zwischen dem Wesen und der Gestalt der Kirche lässt sich die wesentliche Einheit der universalen Kirche nämlich nur durch eine grundsätzliche Übereinstimmung der Kirchen in ihrer Lehre und in ihren Strukturen bewahren und in der eucharistischen Gemeinschaft erfahren.

Für die Orthodoxe Kirche ist die kirchliche Einheit im Sinne der Anerkennung einer historisch entstandenen Kirche als Kirche Jesu Christi im Vollsinn und damit zugleich die Aufnahme einer auch eucharistische Gemeinschaft implizierenden „koinonia“ mit ihr vor allem an vier Bedingungen geknüpft: an die grundsätzliche Übereinstimmung hinsichtlich der Glaubenslehre (regula fidei), den Sakramenten, dem gegliederten Amt und der Autorität in der Kirche.

Für die evangelischen Kirchen genügt zur wahren Einheit der Kirche die Übereinstimmung in der reinen und unverfälschten Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi und des uns von ihm verheißenen Heiles sowie die rechte Lehre und Praxis in Bezug auf die Sakramente (CA 7). Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Zeugnis der Alten Kirche für die evangelischen Kirchen ekklesiologisch irrelevant wäre. Die reformatorische Ekklesiologie hat mit ihrer Hochschätzung der “Glaubensregel”, des Amtes und des biblischen Kanons ganz bewusst an die sogenannten drei katholischen Normen angeknüpft.

Nach evangelischem Verständnis gibt es neben der biblischen Tradition auch in nachneutestamentlicher Zeit eine Tradition, die für den Glauben der Kirche unerlässlich ist und in sachlicher Übereinstimmung mit dem biblischen Zeugnis steht (vgl. Goslar I). Sowohl in der Orthodoxen Kirche als auch in den evangelischen Kirchen sind Entscheidungen lebendig, die in der frühen Kirche darüber getroffen worden sind, was als verbindlich zu gelten hat. Diese Auswahl stimmt in vielen Punkten überein, vor allem hinsichtlich der Trinitätslehre und der Christologie, sie unterscheidet sich jedoch auch in gewissen Punkten, wie die Beispiele des Concilium Quinisextum oder des VII. Ökumenischen Konzils zeigen.

Obwohl unsere Kirchen sich in diesem Dialog noch auf dem Wege zu einer vollen gegenseitigen Anerkennung und damit zur Aufnahme eucharistischer Gemeinschaft befinden, wollen sie doch dem jeweiligen Partner nicht grundsätzlich das Kirchesein bestreiten. So kann die Rumänische Orthodoxe Kirche durchaus in den evangelischen Kirchen eine Weise der Kirchlichkeit erkennen. Auf der Grundlage des gemeinsamen Glaubens an Jesus Christus, wie er in der Heiligen Schrift und unserem gemeinsamen Symbol von Nizäa-Konstantinopel seinen autoritativen Ausdruck gefunden hat, und vor allem aufgrund der einen Taufe kann die Rumänische Orthodoxe Kirche auch von einem gewissen Grad der Gemeinschaft mit den noch von ihr getrennten evangelischen Kirchen sprechen. Und umgekehrt sehen auch die evangelischen Kirchen trotz der teilweise ganz anderen Ausdrucksformen des kirchlichen Lebens in den orthodoxen Kirchen wesentliche Elemente der evangeliumsgemässen Kirchlichkeit auch in der Orthodoxen Kirche verwirklicht.

Aus orthodoxer Sicht sind im Hinblick auf die evangelischen Kirchen jedoch vor allem die Fragen der bischöflichen apostolischen Sukzession und der Rezeption aller ökumenischen Konzilien in den evangelischen Kirchen einer weitergehenden Klärung bedürftig, weil diese in der orthodoxen Tradition als Grundelemente des Wesens der einen Kirche Jesu Christi gelten. Aus Sicht der evangelischen Kirchen bedarf besonders die Frage einer weiteren Klärung, wie sich die in der Orthodoxen Kirche in ganz besonderer Weise lebendige Tradition der Verehrung der Ikonen zu dem verhält, was die evangelische Seite mit der “reinen Bezeugung des Evangeliums Jesu Christi” (im Sinne von CA 7) meint.

Um auf dem Weg zu einer versöhnten Verschiedenheit weiterzukommen, bedarf es deshalb aus unserer Sicht einer weiteren Klärung der Inhalte und Kriterien, die beiderseits für unverzichtbar gelten, um sich gegenseitig als Verwirklichung der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche anerkennen zu können.

IV.
Mit grosser Aufmerksamkeit und Freude wurden von den beiden Delegationen Berichte über die Treffen des “Jungen Dialogs/Besuchsgruppenaustausch” aus den Jahren 2001 und 2002 gehört. Zum 8. und 9. Mal haben sich junge Theologinnen und Theologen, Studierende und Geistliche aus der Rumänischen Orthodoxen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland getroffen. Die Begegnungen standen unter den Themen “Gottesdienst als Ausdruck des Glaubens” (2001 in Sibiu) und “Mission und Kirchen in der pluralen Gesellschaft” (2002 in Edemissen bei Hannover). Als besonders wichtig wurde das gegenseitige Kennenlernen des authentischen kirchlichen Lebens der jeweils anderen Seite, der speziellen Gemeindesituation vor Ort und das gemeinsame Erschliessen biblischer Texte und damit das Wahrnehmen der unterschiedlichen Auslegungstradition empfunden.

Die Delegationsleiter unseres bilateralen Dialogs haben unterstrichen, dass es notwendig ist, diese Form der Begegnung von jungen Christen aus unseren Kirchen fortzusetzen. In der Zukunft müssen noch Formen gefunden werden, die Einladungen konsequenter in beiden Kirchen und den Theologischen Fakultäten bekannt zu machen und die Ergebnisse (Abschlussberichte) in beiden Sprachen zu veröffentlichen.

Mit der Wahl von Cluj-Napoca (Klausenburg) als Tagungsort erhielt unser Gespräch von Anfang an eine besondere ökumenische Aktualität. In Cluj befanden wir uns in einer Stadt, die in ihrer Geschichte wie in ihrer Gegenwart von zahlreichen christlichen Konfessionen und verschiedenen Nationalitäten geprägt ist. Dies wurde vor allem bei unserem Besuch im Protestantisch-Theologischen Institut Cluj deutlich, bei dem Vertreter der Reformierten Landeskirche Transsilvanien, der Reformierten Landeskirche diesseits des Königspasses, der Unitarischen Kirche, der Evangelisch-lutherischen Kirche A.B. ungarischer Sprache und der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien über die historischen Anfänge ihrer Kirchen, über die heutige Situation und über Chancen und Schwierigkeiten des ökumenischen Miteinanders berichteten. Im Rahmen dieser Begegnung informierte  S. E. Metropolit Serafim von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa, über die rumänisch-orthodoxe Metropolie, ihr neuerrichtetes Zentrum in Nürnberg und das kirchliche Leben in den Gemeinden.

Chancen und Schwierigkeiten des ökumenischen Miteinanders wurden auch aus einem Bericht von Frau G. Trimbitas, Präsidentin der Orthodoxen Frauengesellschaft Cluj, deutlich. Sie berichtete als Mitglied des Exekutivausschusses des Weltgebetstagskomitees über die Vorbereitung der Gottesdienstordnung für den Weltgebetstag 2002, die von Frauen aus Rumänien erarbeitet worden war. Hierdurch ist weltweit für das Land und die Situation in Rumänien Interesse geweckt worden, und dies wird hoffentlich auch über den Weltgebetstag hinaus weiterhin der Fall sein. Der Weltgebetstag selbst wurde in zahlreichen Städten und Ortschaften Rumäniens gemeinsam gefeiert und auch in den Medien übertragen. Dies war jedoch in Cluj nicht möglich, wie wir mit Betroffenheit erfahren haben.

V.
Der Dialog begann mit einem orthodoxen Abendgottesdienst in der Kapelle des Rumänisch-orthodoxen Seminars und der Theologischen Fakultät, wo wir auf Einladung S. E. des Erzbischofs Bartolomeu Anania während unserer Tagung zu Gast waren. Im Anschluss daran fand ein Empfang durch den Erzbischof statt, der durch den Chor der Theologischen Fakultät besonders festlich gestaltet wurde. Zu diesem Empfang waren auch Bischof Christoph Klein und andere Vertreter der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien sowie Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland eingeladen, die an der Tagung des Kontaktausschusses beider Kirchen teilgenommen hatten. Ein ausführliches Gespräch mit dem Erzbischof Bartolomeu über seine Arbeit an einer gerade erschienen Neubearbeitung der Heiligen Schrift hat die Verpflichtung beider Kirchen für die Verbreitung des Evangeliums in einer heute verständlichen Sprache unterstrichen.

Ein besonderer Höhepunkt für beide Delegationen war die von Metropolit Serafim geleitete Göttliche Liturgie, die in Anwesenheit von Tausenden von Gläubigen in der orthodoxen Kathedrale von Cluj-Napoca stattfand und in der Metropolit Serafim die Predigt hielt. Am Schluss der Liturgie informierte Erzbischof Bartolomeu die Gläubigen über unseren Dialog und Bischof Koppe sprach ein Gruss- und Segenswort. Es wurde auch ein Abendmahlsgottesdienst in der evangelisch-lutherischen Kirche in Anwesenheit der orthodoxen Teilnehmer gefeiert, den Pfarrer Bela Kiss leitete und in dem Pfarrer Johannes Toaspern predigte.

Beeindruckend war für uns der Besuch des Klosters Nicula, das durch eine wundertätige Ikone der Gottesmutter zu einem orthodoxen Wallfahrtsort in Siebenbürgen geworden ist. Bei einem gemeinsamen Abendessen mit den Mönchen wurde über die bilateralen Kontakte zwischen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und der Erzdiözese Cluj informiert. Der Abendgottesdienst im Kloster gehörte ebenso zur unverzichtbaren geistlichen Dimension wie die im Wechsel gehaltenen Morgen- und Abendandachten.

VI.
Wir empfehlen unseren Kirchen die Fortsetzung dieses Dialoges mit den Themen, die sich aus dieser Begegnung ergeben haben. Besonders wichtig erscheinen uns die Themen  des kirchlichen Amtes und der Ökumenische Konzilien.

Weiterhin sollte auch konkreter überlegt werden, wie auf beiden Seiten die Rezeption unserer Dialoge auf der akademischen Ebene, auf der Ebene der Ausbildung und im Leben unserer Gemeinden verbessert werden kann. In diesem Zusammenhang sprechen sich die Dialogteilnehmer auch mit Nachdruck für die weitere Publizierung der Ergebnisse unseres Dialoges in Deutschland wie in Rumänien aus, um auf diese Weise das Verständnis für andere christliche Traditionen auch in den Gemeinden unserer Kirchen zu fördern. Wir sprechen uns dafür aus, in den zukünftigen Begegnungen die kirchliche Lebenspraxis stärker zu berücksichtigen.

S. E. Metropolit Dr. Serafim Joanta von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa

Bischof Dr. h. c. Rolf Koppe, Evangelische Kirche in Deutschland