Kirche und Parteien

Landesbischof Christoph Kähler zum poltischen Engagement von Geistlichen

29. Juli 2005


Bundespräsident Horst Köhler hat entschieden und den Bundestag aufgelöst. Seit Donnerstagabend der vergangenen Woche ist der offene Wahlkampf ausgebrochen. Dabei geht es für die politischen Parteien natürlich darum, möglichst viele Wähler anzusprechen. Die evangelischen und katholischen Christen in Deutschland bilden große und wichtige Wählergruppen, die zu gewinnen für viele Parteien interessant ist. Das ließe sich womöglich auch dadurch erreichen, dass kirchliche Mitarbeiter, vorzugsweise Pfarrer, als Mitglieder und Kandidaten in den politischen Parteien auftreten und so einen Vertrauensbonus nutzen, den sie in ihrem kirchlichen Amt erworben haben.

Deshalb wird zur Zeit von verschiedenen Seiten besonders heftig darüber debattiert, ob und in welcher Weise Pfarrer bzw. Pastorinnen sich öffentlich politisch engagieren und Partei ergreifen dürfen. Besondere Schärfe gewann die Diskussion, als eine Falschmeldung die Runde machte. Angeblich existiere in der Evangelischen Kirche in Deutschland ein Verbot für Geistliche, sich in der PDS bzw. der neuen Linkspartei zu organisieren und zu engagieren. Kein Gremium innerhalb der EKD hat derartiges beschlossen.

Damit ist aber das Problem einer parteipolitischen Bindung von evangelischen (und katholischen) Theologen jedoch keineswegs vom Tisch. Im Gegenteil! Sorgfältige theologische, gemeindepraktische, dienstrechtliche und – nicht zuletzt – politische Unterscheidungen sind nötig.

Einerseits sind Pfarrer Bürger wie alle anderen auch und haben demokratische Rechte und Pflichten, die sie nach eigenem politischen Ermessen ausüben können und sollen. Für Menschen- und Bürgerrechte haben wir uns als Kirchen in Ostdeutschland lange vor der Wende eingesetzt. Demokratische Wahlen waren eine Grundforderung in der DDR. Wenn kirchliche Mitarbeiter diese Rechte und Pflichten nun innerhalb von Parteien wahrnehmen, können und dürfen Kirchenleitungen sie nicht daran hindern. Dafür sorgen übrigens auch faire und großzügige Regelungen im Pfarrerdienstrecht unserer Kirchen.

Andererseits sind Pfarrer und Pastorinnen allen Gemeindegliedern verpflichtet, die sich in unterschiedlicher Anzahl als Mitglieder oder Sympathisanten aller Parteien finden. Darum müssen kirchliche Mitarbeiter eine deutliche Zurückhaltung bei öffentlichen politischen Äußerungen wahren, wenn sie das für ihren Beruf nötige Vertrauen der Gemeindeglieder nicht verlieren wollen. Eine Predigt darf keine Wahlrede sein. Das politische Urteil bleibt eine Ermessensfrage, die kirchenamtlich nicht vorentschieden werden darf. Das gilt für Kirchenleitungen genauso wie für die Gemeindeleitung vor Ort. Eine Ausnahme von dieser Regel gilt nur dort, wo biblisch abgeleitete Grundregeln menschlichen und demokratischen Miteinanders mißachtet werden, also etwa die Gleichheit aller Menschen vor Gott geleugnet oder wo die Parteidisziplin dem Glaubensgehorsam übergeordnet wird. In jedem Fall wünsche ich jedem, der sich erkennbar in einer Partei engagiert, dass er sich mit den anderen für die Gemeinde Verantwortlichen intensiv berät. Dies kann dabei helfen, dass geistliche und weltliche Aufgaben nicht verwechselt werden und die Verkündigung des Evangeliums nicht unter den Verdacht der parteipolitischen Einseitigkeit gerät.

Sorgfältig analysieren und gut beraten lassen sollten sich aber auch Pastorinnen und Pfarrer, die sich für eine Partei einsetzen wollen, mit denen ihre Gemeindeglieder jahrzehntelang überaus schlechte Erfahrungen machten. Sie sind keineswegs vergessen. Die SED übte über die Volksbildung der DDR massiven Druck auf Kinder und Jugendliche aus, hatte die Befehlsgewalt über das Ministerium für Staatssicherheit und diskriminierte langanhaltend über die Jugendorganisation der FDJ die Junge Gemeinde. Das haben Christinnen und Christen erlebt, ihre Biographien sind davon beeinträchtigt worden, manche Verletzungen wirken bis heute nach. Wenn dann – wie jüngst geschehen - in Berlin die Nachfolgepartei das Elternrecht auf religiöse Erziehung ihrer Kinder durch die Schule „neutralisieren“ will, dann weckt das Erinnerungen und berechtigte Befürchtungen. Ob Geistliche zumindest indirekt nicht nur ihrer eigenen Kirche schaden, sondern vor allem die wohlerwogenen Rechte von christlichen Eltern einschränken helfen, muss mit ihnen fair, aber deutlich besprochen werden. Dabei müssen auch die Auswirkungen auf die bedacht werden, denen sie mit ihrer Verkündigung dienen wollen und deren Vertrauen sie in ihrem Beruf benötigen.

Wir sprechen in Thüringen regelmäßig mit allen in den Landtag gewählten Parteien, um mit den Volksvertretern herauszufinden, wie die gemeinsamen Angelegenheiten aller Bürger und aller ihrer Institutionen gerecht behandelt und verschiedene Interessen angemessen miteinander ausgeglichen werden können. Das schließt auch die PDS ein, deren Fraktionsvorsitzender evangelischer Christ ist. Dennoch wollen wir weder in den Gemeinden noch in der Öffentlichkeit verschweigen, dass diese Partei in besonderer Weise die Bürde geschichtlicher Verantwortung einer religionsfeindlichen Ideologie trägt. Zu dieser Geschichte gehört auch eine „Bündnispolitik“, in der Marxisten Christen regelmäßig benachteiligt haben. Die Debatte über Folgerungen für unser politisches Engagement heute lässt sich nicht mit Verboten führen, sie muss aber stattfinden. Die nächsten Wochen werden spannend. Es gilt nach wie vor das Wort des Apostels Paulus: „Prüft aber alles, und das Gute behaltet.“

Quelle: "Die Kirche", Ausgabe vom 31. Juli 2005