Warum Nationalismus Sünde ist

Heinrich Bedford-Strohm warnt vor dem Rechtspopulismus

20. April 2017

Heinrich Bedford-Strohm, Portrait
Die steigende Zahl rechter Gewalttaten besorgt Heinrich Bedford-Strohm. (Foto:epd-Bild/Norbert Neetz)

Ein Gespenst geht um in Europa – mit ­diesen Worten begann das 1848 veröffent­lichte Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels. Mit dem Gespenst war der Kommunismus gemeint. 169 Jahre und zahlreiche kommunistische Unrechtsregime später ist von dem „Gespenst“ nicht viel mehr übriggeblieben als zerstobene Visionen.

Das Gespenst, das heute in Europa umgeht, ist der Rechtspopulismus. Jedenfalls beschäftigt er Medien und Politik in Europa in einem Maße wie kaum ein anderes Phänomen in Politik und Gesellschaft. Insbesondere im Hinblick auf die Themen Flüchtlingspolitik und Islam ­haben sich unter diesem Stichwort Parteien gesammelt, die den bisherigen Konsens über die grundlegenden Werte, die Europa ausmachen, lautstark infrage stellen.
Superwahljahr 2017. Am 23. April ist Präsidentschaftswahl in Frankreich, im Juni Parlamentswahl. In Deutschland gibt es in diesem Jahr drei Landtagswahlen und dann im September die Wahl zum Deutschen Bundestag. Bul­garien, Türkei, Serbien, Tschechien: Überall werden Wahlurnen aufgestellt.   

Ein gefährlicher Ton schleicht sich in die Wahlkämpfe ein

In Koblenz haben sich kürzlich führende Vertreter des Rechtspopulismus getroffen. Nach der britischen Brexit-­Entscheidung und der Wahl von Donald Trump zum ­amerikanischen Präsidenten – so hieß es da – wolle man 2017 zum „Jahr des Erwachens der Völker von Zentral­europa“ machen.

Deutschland erwache? Ein neuer und gefährlicher Ton schleicht sich europaweit in die Wahlkämpfe unserer Tage ein. „Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen [...]. Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ Das hat Victor Klemperer formuliert, als er die Sprache des „Dritten Reiches“ analysierte.

Die stark gestiegene Zahl rechter Straftaten erfüllt mich mit größter Sorge. Wer sein eigenes Land oder seine eigene Volksgruppe überhöht und gegen die anderen in Stellung bringt, produziert Hass, irgendwann Gewalt und am Ende vielleicht sogar wieder unzählige Tote. Deswegen sage ich: Nationalismus ist eine Erscheinungsform von Sünde. ­Nationalismus vergiftet das Klima zwischen Menschen. Wo er mit dem christlichen Mäntelchen umgeben wird, ist klarer Widerspruch angesagt, denn er tritt all das mit Füßen, was die christliche Tradition ausmacht.

Liberale und konservative Positionen haben ihren Platz in der Kirche

Die Kirche steht für das genaue Gegenteil: für die Versöhnung der Völker, für die Anerkennung der Würde eines jeden Menschen, unabhängig von seiner Nationalität oder Volksgruppe. Das ist ganz im Einklang mit dem Reformator Martin Luther. Er illustriert die Sünde mit dem Bild eines Menschen, der „in sich selbst verkrümmt“ und daher von Gott und seinem Mitmenschen abge­schnitten ist. Ich zuerst, meine Partei zuerst, Deutsche zuerst, Amerika zuerst? Auch Gemeinschaften können „in sich verkrümmt“ sein.

Gott lieben und den Nächsten lieben – das ist der Kern der Orientierungen, die das Christentum ausmachen. Was das für die Politik bedeutet, ist nicht direkt abzuleiten. Liberale und konservative Positionen haben gleichermaßen ihren Platz in der Kirche. Nationalismus aber nicht, so wenig wie Rassismus, Antisemitismus oder andere ­Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Parteipolitische Auseinandersetzungen sind keine ­Bühne für uns Kirchen. Aber die Grundlinien ethisch verantwortlichen Handelns werden wir deutlich aufzeigen. Auch und gerade in Wahlkampfzeiten.

Heinrich Bedford-Strohm (aus: chrismon)