Reformation, Humanismus und Andreas Knopken

Wie die Reformation das lettische Riga erreicht hat

17. März 2017

Karte von Riga aus dem Jahr 1567. (Bild: aus Sebastian Münster "Cosmographey", Basel 1567)
Riga: Kolorierte Stadtansicht aus dem Jahr 1567. (Bild aus: Sebastian Münster, "Cosmographey", Basel 1567. Universitätsbibliothek Freiburg i.Br., Historische Sammlungen: J. 4763, h, S.1260.

Die Reformation erreichte Riga sehr früh, bereits 1522 bis 1524, also bald nach den Ereignissen in Wittenberg. Der Stadtrat von Riga nutzte die Gunst der Stunde, als der Erzbischof Jasper Linde (gest. 1524) aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr handlungsfähig war und der Meister des Livländischen Ordens Wolter von Plettenberg durch seine passiv abwartende Haltung dem Stadtrat ermöglichte, die Reformation zu unterstützen. Der Siegeszug der Reformation hatte tiefgreifende politische und geistige Wurzeln. Mit den Forderungen nach einer grundlegenden Reformation der Kirche waren an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert die Ideen des Humanismus, vor allem diejenigen des Erasmus von Rotterdam, nach Riga gekommen.

Andreas Knopken

Als der bedeutendste Vertreter der Reformation in Riga gilt Andreas Knopken (geb. 1468 in Küstrin, gest. 1539 in Riga). Nach dem Studium in Ingolstadt und Frankfurt an der Oder war er in der Treptower Schule in Pommern als Lehrer tätig gewesen. Der Leiter dieser Schule war Johannes Bugenhagen, ein überzeugter Humanist und enger Freund Martin Luthers. 1517 ging Andreas Knopken zu seinem Bruder nach Riga, dem Domherren Jakob Knopken, und wurde zum Kaplan der dortigen St. Petri-Kirche ernannt. In dieser Zeit verfasste er mindestens drei Briefe an Erasmus von Rotterdam, in denen er wiederholt die Frage nach dem Erlangen der wahrhaftigen Seligkeit aufwarf. Es ist anzunehmen, dass nur sein letztes Schreiben, dasjenige vom 31. Dezember 1520, beantwortet wurde – dieses ist auch erhalten geblieben.

1519 reiste Knopken zwar zur Fortsetzung seiner Studien erneut nach Pommern und nahm auch seine Tätigkeit an der Treptower Schule wieder auf. Nach dem Bildersturm in Treptow kehrte er jedoch im Juni desselben Jahres mit einem Empfehlungsschreiben Philipp Melanchthons nach Riga zurück und begann dort, die Lehre der Wittenberger Reformatoren zu predigen. Er unterstützte die Mitglieder der Zunft der Kaufleute, die sogenannte Bruderschaft der Schwarzhäupter, bei ihrer geistigen und weltanschaulichen Suche und trug wesentlich dazu bei, sie von der reformatorischen Lehre zu überzeugen. Knopken verfasste einen Kommentar zum Brief des Apostels Paulus an die Römer, der 1524 und 1525 in Wittenberg und Straßburg veröffentlicht wurde.

Die 95 Thesen Luthers, die 1517 in Wittenberg den Beginn der Reformation eingeläutet hatten, erreichten Riga sehr zeitnah. Nach Vorträgen von Andreas Knopken wandte sich der Sekretär des Rigaer Stadtrates, Johann Lohmüller, am 20. August 1522 mit den Worten an Luther: "An den auserwählten Apostel Christi, unseren heiligen Freund". Nach einem Jahr antwortete dieser mit der Erwiderung: Den auserwählten lieben Freunden Gottis, allen Christen zu Righe, Revell [Reval] und Tarbthe [Dorpat] in Liefland, meinen lieben Herren und Brudern in Christo. Auch der Bürgermeister von Riga, Conrad Durkop, ersuchte Luther um schriftlichen Beistand. Daraufhin schickte Luther 1524 seinen Kommentar zum 127. Psalm – Der hundert und sieben und zwentzigst psalm, ausgelegt an die Christen zu Rigen ynn Liffland – an den Stadtrat von Riga.

Auf Anraten des Rigaer Stadtrates führte Andreas Knopken am 12. Juni 1522 in der St. Petri-Kirche eine Diskussion mit Mönchen des Franziskanerordens über 24 Thesen. Mit der Unterstützung mehrerer Ratsherren – Gotke Durkop, Anton Mutter, Heinrich Uhlenbrock, Paul Dreiling –, des Sekretärs des Stadtrates Johann Lohmüller sowie der Großen und der Kleinen Gilde wurde Andreas Knopken am 23. Oktober 1522 zum Archidiakon der St. Petri-Kirche ernannt. Dieses Datum gilt als Beginn der Reformation in Livland, denn bis dahin verfügte einzig das Domkapitel über das Recht, Pfarrer und Diakone zu ernennen.

Durchführung der Reformation

Nach dem im Jahr 1524 in Wittenberg veröffentlichten Aufruf Luthers An die Ratsherren aller Stätte Teucheslands, das sy Christliche schulen aufrichten und halten sollen übernahm der Stadtrat von Riga das Eigentum des Erzbischofs, des Domkapitels sowie der katholischen Klöster und gründete die städtische Bibliothek, die sogenannte Bibliotheca Rigensis. Von 1553 bis 1891 war sie in der Domkirche über dem Kreuzgang untergebracht. Heute ist sie die Lettische Akademische Bibliothek und gilt als die älteste wissenschaftliche Bibliothek in der Ostseeregion.

Der erste Bibliothekar war von 1524 bis 1532 Nikolaus Ramm, einer der ersten lettischen lutherischen Pfarrer. Neben mittelalterlichen Handschriften wie Missalen und Inkunabeln und weiteren theologischen Schriften bewahrt die Bibliothek mehrere von Martin Luther verfasste Briefe. Luther hat insgesamt 17 sowohl handschriftliche als auch gedruckte Schreiben nach Livland verschickt. Herzog Albrecht in Preußen entsandte 1525 Friedrich von Heydeck mit der Botschaft nach Riga, dass im Zuge der Säkularisierung des Deutschen Ordens das weltliche, protestantische Herzogtum Preußen gegründet worden und an dessen Stelle getreten sei. Er forderte Riga auf, den Schutz Preußens anzunehmen.

Die weitere Säkularisierung der Kirche und ihrer traditionellen Machtstrukturen war nicht mehr aufzuhalten. Um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten, kam der Meister des Livländischen Ordens, Wolter von Plettenberg (1499–1535), am 21. September von seiner Ordensburg in Wenden (Cesis) nach Riga. Im Rigaer Rathaus verkündete er der Stadt das Recht zur freien Entscheidung über die konfessionelle Zugehörigkeit und nahm den Treueid des Bürgermeisters, der Ratsherren und der Gesandten des Rigaer Bürgertums entgegen.

1526 ernannte der Stadtrat von Riga den ehemaligen Franziskaner und späteren Schüler und Mitarbeiter Martin Luthers, Johannes Briesmann (1488–1549), zum Pfarrer und Superintendenten der Domkirche. Er wurde mit der Ausarbeitung der Agende Kurtz Ordnung des Kirchendienstes beauftragt, die erstmalig 1530 und später, 1537, in einer von Andreas Knopken überarbeiteten Version in Rostock veröffentlicht wurde. In mehrfachen Nachdrucken herausgegeben, war diese Agende im gesamten lutherischen Norddeutschland bekannt. Briesmann gestaltete die an der Domkirche und der St. Petri-Kirche existierenden Schulen zu protestantischen Schulen um. Auf persönliche Empfehlung von Martin Luther und Philipp Melanchthon wurde der niederländische Humanist und enge Freund von Erasmus von Rotterdam, Jacobus Battus (gest. 1546), zum ersten Rektor der Domschule ernannt. Ein in Bronze geschaffenes Epitaph für Jacobus Battus ist an der Wand des Kreuzganges des Rigaer Doms angebracht.

Domkirche St. Marien

Die Domkirche St. Marien ist der größte und beeindruckendste Sakralbau in Riga. Die Bauarbeiten begannen 1211. Im 14. und 15. Jahrhundert fanden bedeutende Umbauten und Erweiterungen statt. Mit dem Machtverlust der katholischen Erzbischöfe erlitt auch die Kirche große Verluste, durch wiederholte Kirchenstürme kam es zu Raub und Verwüstungen. Nach dem großen Brand im Jahr 1547 musste die deutsche lutherische Gemeinde nahezu das gesamte Inventar neu beschaffen. In dem Chorteil der Kirche sind noch die Sitze der Chordiakone aus den Jahren 1570 bis 1580 erhalten geblieben, eine Nachahmung der alten Mönchsstühle. Verziert sind die Sitze mit historisch und künstlerisch sehr wertvollen Reliefs zum Thema "Versuchung" und "Maria Magdalena" sowie mit üppigen Blumen- und Fruchtornamenten im Stil der Renaissance. Als Muster für diese Verzierungen galten offensichtlich Graphiken deutscher Meister vom Anfang des 16. Jahrhunderts, darunter die um 1535 entstandene Xylographie "Versuchung" von Hans Sebald Beham. An der Südseite des Querflügels der Kirche wurde 1570 bis 1580 eine Empore für die Choristen der Domschule eingebaut, deren Fassade im 17. Jahrhundert mit Malereien und Reliefs allegorischer Darstellungen der Musik und der heiligen Cäcilie, der Heiligen der Musik, verziert wurde.

Die Ereignisse der Reformationszeit sind an der Nordwand der Domkirche in zwei Glasmalereien aus der Zeit des Historismus dokumentiert. Die eine zeigt den Meister des Livländischen Ordens, Wolter von Plettenberg, als er am 21. September 1525 dem Bürgermeister von Riga, Conrad Durkop, feierlich das Dokument überreicht, in dem das Recht zur freien Entscheidung über die konfessionelle Zugehörigkeit verkündet wird. In der Glasmalerei ist der Bürgermeister von Riga zu erkennen, Conrad Durkop, hinter ihm die beiden Prediger Andreas Knopken und Sylvester Tegetmeyer sowie die Reformatoren Johannes Briesmann und Jacobus Battus. Im Hintergrund der Malerei sind das Rathaus und das Schwarzhäupterhaus auszumachen sowie die Türme der St. Petri- und der St. Jacobi-Kirche. Etwas abseits des Rathausplatzes, vor seiner Werkstatt stehend, ist der Zinngießer und Dichter der Reformationszeit Burcard Waldis dargestellt. Die kompositionelle Spitze der Glasmalerei wird von einem Porträt Martin Luthers gebildet. Die zweite Glasmalerei ist dem feierlichen Empfang des schwedischen Königs Gustav II. Adolf am 16. September 1621 gewidmet, als dieser die Statthalter des polnischen Königs in die Flucht geschlagen und die Rechte des lutherischen Glaubens in Livland wiederhergestellt hatte. Beide Glasmalereien wurden 1884 in der Werkstatt von Hans Meyer in München nach Skizzen des Malers Anton Dietrich angefertigt.

Einzigartig für die europäische Kultur ist ein weiteres Zeugnis der Reformationszeit – der Anbau an der St. Johannis-Kirche des ehemaligen Dominikanerklosters, erbaut von Joris Joriszon Frese 1587 bis 1589 im Stil der niederländischen Renaissance. Mit seinen üppig dekorierten Klinkerfassaden ist er ein Musterbeispiel des frühen protestantischen Kirchenbaus in Nordeuropa und spiegelt eine sehr gelungene Verschmelzung der Formen der italienischen Renaissance mit der niederländischen Architektur wider.

Ainars Radovics und Ojars Sparitis

Weiterführende Literatur

Arbusow, Leonid, Die Einführung der Reformation in Liv-, Est- und Kurland, Leipzig 1921 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 3); Nachdruck, Aalen 1964
Pistohlkors, Gert von, Deutsche Geschichte im Osten Europas. Bd. 9: Baltische Länder, Berlin 1994
Asche, Matthias u. a. (Hg.), Die baltischen Lande im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Livland, Estland, Ösel, Ingermanland, Kurland und Lettgallen. Stadt, Land und Konfession 1500–1721, 4 Bde., Münster 2009 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, Vereinsschriften der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum 69–72)


Der gekürzte Text ist entnommen aus:

Europa reformata. Reformationsstädte Europas und ihre Reformatoren
Herausgegeben von Michael Welker, Michael Beintker und Albert de Lange. Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2016, 504 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, ISBN 978-3-374-04119-0, 29,90 Euro (D)

Ainars Radovics ist Magister der Geschichte und lebt in Riga.
Dr. Ojars Sparitis ist Professor für Kunstgeschichte an der Lettischen Kunstakademie in Riga.