"Ein Gotteshaus, kein reformatorisches Museum"

Die Schlosskirche in Wittenberg bereitet sich mit zertifizierten Kirchenführern auf den Reformationstourismus vor

15. März 2017

Schlosskirche in Wittenberg. (Foto: epd-Bild/Steffen Schellhorn)
Blick in die Schlosskirche Wittenberg. Der Besuch soll auch ein geistliches Erlebnis sein. (Foto: epd-Bild/Steffen Schellhorn)

Die Strahlen der Mittagssonne brechen sich im bunten Glas und zeichnen grüne, gelbe, rote Tupfen in Gesichter aus Stein: Nikolaus von Amsdorf, Urban Rieger, Georg Spalatin, keine Namen, die jeder gleich mit der Reformation verbindet. In der Schlosskirche von Wittenberg stehen sie ausnahmsweise nicht im Schatten Martin Luthers, des verehrten und im Jubeljahr vielvermarkteten Reformators, der dort 1517 seine 95 Thesen veröffentlicht hat.

Zu Füßen der Standbilder drängen sich Besuchergruppen um Kunst und Grab und Thesentür. "Ihr seid eine achte Klasse von 20 Schülern ohne religiösen Hintergrund", sagt dort ein Mann: "Mein Gegenstand ist das himmlische Gewölbe, der Ansatz ist baugeschichtlich." Anja Häse blickt auf die Zeitanzeige ihres Smartphones und nickt ihm zu. Fünf Minuten laufen ab jetzt im pädagogischen Seminar in der vorerst letzten Ausbildungsklasse zum Schlosskirchenführer.

Vier Gruppen mit bis zu 25 Teilnehmern haben Häse und ihre Dozentenkollegen seit April 2016 bereits geschult. Sie selbst führt Besucher durch die Dresdner Frauenkirche und steht dem Bundesverband für Kirchenpädagogik vor. Die Teilnehmer machen sich Notizen zum Vortrag des Redners: Werden Symbole erklärt, die Zielgruppe angesprochen, ein geistlicher Zugang ermöglicht?

Theologie und die Kunst des Erzählens

Später werten sie ihre Ergebnisse in einem Nebengebäude aus. In der Schlosskirche ist es dafür zu unruhig, zu laut inmitten von Liedgesang, Plaudereien und Auslösergeklicke der fotografierenden Besucher.

33 Stunden Unterricht und eine Abschlussprüfung liegen auf dem Weg zum zertifizierten Schlosskirchenführer. Dabei geht es um die Geschichte der Reformation und des Kirchengebäudes, um Theologie und die Kunst des Erzählens.

Vor allem soll dem Gast aber eines gezeigt werden: "Auch wenn sie durch die Reformatorenfiguren, Wappen und Bronzemedaillons so wirken mag, die Schlosskirche ist ein Gotteshaus, kein reformatorisches Museum," sagt Sonja Dreyer, Projektleiterin der Ausbildung. Anfang 2016 holte die Wittenbergstiftung sie dafür in die Stadt. Hier sitzt sie, die Schlosskirche im Rücken und das Lutherdenkmal im Augenwinkel, in der Geschäftsstelle der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

"Ein geistliches Erlebnis eröffnen"

Der Schwerpunkt der EKD bei der Ausbildung der Kirchenführer sei nicht historischer, sondern theologischer Art. Einen Altar zu zeigen, ohne über seinen Sinn und Zweck zu sprechen, reiche da eben nicht aus, sagt die 27-Jährige: "Und wir haben den Anspruch, den Gästen ein geistliches Erlebnis zu eröffnen."

Denn die Kirche kennt ihre Mitgliederstatistik im "Ursprungsland der Reformation" gut, ihr gehören dort nicht mehr viele Menschen an. Viele Interessenten hätten zunächst große Vorbehalte gegenüber der Ausbildung gehabt, sagt Dreyer. Die Prägung in der DDR, ein fehlender Bezug zur Kirche, Berührungsängste sind die Gründe.

Die Rückmeldungen seien allerdings überwiegend positiv, erzählt Dreyer: "Einer der Teilnehmer lässt sich tatsächlich in der Osternacht taufen." Zwar nicht nur wegen des Kurses, aber der sei daran nicht unschuldig gewesen.

Professionelle Fremdenführer oder Quereinsteiger

Zweimal am Tag gibt es in der Schlosskirche eine öffentliche Führung. Unter den von der EKD Zertifizierten sind sowohl professionelle Fremdenführer als auch Neulinge aus allen Branchen, vom Malermeister bis zum Rentner.

In der Praxis müssten sie auf drei Dinge achten, sagt Sonja Dreyer. Die Kirche sei eng und hoch. Man müsse deshalb ein Gespür für geschmeidige Bewegungen mit mehreren Gruppen und eine angemessene Lautstärke der Stimme entwickeln. Punkt zwei: "Die Thesentür und das Luthergrab treiben die Touristen fast wallfahrtsartig in die Schlosskirche", sagt Dreyer: "Die müssen abgehakt werden." Und dennoch müsse der Besucher auch verstehen, "dass Reformation nicht nur Luther und das Jubiläum 2017 kein Lutherjubiläum ist, sondern ein ökumenisches Christusfest".

Christina Özlem Geisler (epd)