Zwischen den Stühlen

Der Reformator Erasmus von Rotterdam wollte die Kirche verändern – allerdings nicht so radikal

9. Dezember 2016

Erasmus von Rotterdam, gemalt 1523 von Hans Holbein. (Bild: akg-images)
Erasmus von Rotterdam, gemalt 1523 von Hans Holbein. (Bild: akg-images)

Im Rahmen des Reformationsjubiläums werfen wir einen Blick zurück auf die Reformatoren, die den Protestantismus ab dem 16. Jahrhundert mitgestaltet und geprägt haben. Auch wenn Martin Luther derzeit viel im Fokus steht – er war nicht der einzige große Kopf seiner Zeit. Dieser Teil der Reformatoren-Reihe dreht sich um Erasmus von Rotterdam.

Aus Versehen hilft Erasmus bei der Spaltung der Kirche. Es ist 1516 und Desiderius Erasmus veröffentlicht ein weiteres Buch: "Novum Instrumentum omne", die erste Ausgabe des Neuen Testaments auf Griechisch.

Schon das Titelblatt sorgt für Aufsehen. Erasmus und sein Basler Verleger Johann Froben haben "Testamentum" durch "Instrumentum" ersetzt – also "Neues Werk" statt "Neuer Bund". Für sie ist es ein Ausdruck von Modernisierung. Der Text soll dem Wort Jesu näher sein als die damals gebräuchliche lateinische Version.

Unerhört, aber gehört

Erasmus wendet die Text-Analyse auf die Heilige Schrift an, wie es seine Kollegen bei antiken Schriften tun. Eine unerhörte Idee. Auch unter seinen Weggefährten sind seine Methoden umstritten, gefährden sie doch die traditionelle Auslegung, den Glauben und die Stabilität der Kirche. Mit seinem Basler Verleger aber setzt er sich durch.

Sein Werk wurde später die Grundlage für die deutsche Ausgabe des Neuen Testaments von Martin Luther und damit auch für die Reformation. Dabei wäre Desiderius Erasmus, wegen seiner Herkunft auch Erasmus von Rotterdam genannt, selbst nie so weit gegangen. Er will die Kirche reformieren und modernisieren – Luthers radikale Ideen aber gehen ihm zu weit.

Erasmus vs. Luther

Luther will die Macht des Papstes brechen, Erasmus dagegen vermeidet die direkte Kritik am Oberhaupt der Kirche. Luther verkündet, allein die Gnade Gottes entscheide über das Leben des Menschen, Erasmus hält an der damaligen kirchlichen Lehre fest, der Mensch könne durch gutes Tun selbst die Gnade Gottes erreichen. Und vor allem steht Luthers Auffassung von der Erbsünde gegen die Überzeugung von Erasmus, dass Gott dem Menschen einen freien Willen gegeben hat, zwischen guten und bösen Taten zu wählen - wenn auch dieser Wille nur mit Gottes Gnade wirksam wird. Deutlich wird das 1524 in Erasmus Schrift "De libero abitrio" (Vom freien Wahlvermögen) und Luthers Antwort 1525 "De servo arbitrio" (Vom geknechteten Wahlvermögen).

Anfangs unterstützt Erasmus den Reformwillen des deutschen Mönchs Luther noch. Der Humanismus, an dessen Spitze Erasmus steht, trägt die Lehre mit. Sie teilten die Kritik an Ablasshandel und Korruption. Doch über die radikalen Thesen Luthers kommt es zum Streit. "Meines Erachtens kommt man mit bescheidenem Anstand weiter als mit Sturm und Drang", schreibt Erasmus an Luther. Der Streit der beiden Kirchenkritiker führt schließlich auch zur Spaltung des Humanismus. Ein Lager bleibt der alten Kirche treu, die reformatorischen Humanisten dagegen helfen bei der Verbreitung von Luthers Lehren.

"Ein Aal, den niemand ergreifen kann"

Erasmus steht zwischen Reformation und Tradition und ist auf Ausgleich bedacht. Er bleibt dem Katholizismus treu, geht aber auf Distanz zur Institution in Rom. Er steht in Kontakt mit anderen Reformatoren wie Ulrich Zwingli, kritisiert deren Ideen aber öffentlich. Luther sagt über Erasmus, dieser sei wie ein Aal, den niemand ergreifen könne.

Erasmus wird um 1466 im Süden der heutigen Niederlande als uneheliches Kind eines Priesters geboren. Die genauen Umstände sind unbekannt. Er tritt in Gouda in ein Kloster ein und setzt sich nach seiner Priesterweihe intensiv mit den Theorien des Glaubens auseinander.

Denken, Schreiben, Reisen

Er veröffentlicht ohne Unterlass. Tausend Wörter soll er pro Tag geschrieben haben. Es heißt, in der Druckerei seines Basler Verlegers Froben seien drei Druckerpressen allein für Erasmus' Werke nötig gewesen. Um 1506 legt er sich den Namen Desiderius zu. Er reist durch Europa und zieht nach Frankreich, Italien und England. Heute trägt das europäische Austauschprogramm für Studenten den Namen des frühen Kosmopoliten.

Erasmus von Rotterdam selbst bleibt trotz seiner Kritik sein Leben lang Mitglied der katholischen Kirche. Luther wendet sich ab. Als die Reformation auch in seiner Heimat um sich greift, macht er sich auf nach Freiburg. Als ihn auch dort die Umbrüchen einholen, zieht er weiter nach Süden. In Basel stirbt Erasmus von Rotterdam im Juli 1536. Sein Ansehen ist bereits zu Lebzeiten so groß, dass man den kritischen Katholiken im Münster beisetzt – obwohl dies zwischenzeitlich protestantisch geworden ist.

Benjamin Dürr (epd)