Mauerfall – lichtdurchflutet

Ein Kirchenfenster im sachsen-anhaltischen Abbenrode zeigt die Grenzöffnung

9. November 2016

Ilse Meyer vor dem Fenstermotiv in der evangelischen St.-Andreaskirche im ehemaligen innerdeutschen Grenzort Abbenrode
Die 80-jährige Ilse Meyer berichtet besuchern von der Zeit vor der Grenzöffnung erzählt die Geschichte des besonderen Kirchenfensters in der St. Andreaskirche in Abbenrode. (Foto: epd-Bild/Jens Schulze)

Spitzen von Stacheldraht und davor Menschen, die freudig aufeinander zulaufen. Daneben Reste einer zusammenfallenden Mauer. In der evangelischen Kirche im früheren innerdeutschen Grenzort Abbenrode im Harzvorland können Besucher eine besondere Szene nacherleben: Ein Fensterbild zeigt den Moment des Mauerfalls vor 27 Jahren. Der Gemeinde zufolge ist es bundesweit das einzige Kirchenfenster, das dieses Geschichtsereignis abbildet.

Der fast unscheinbare Bau der St. Andreaskirche steht nur etwa 600 Meter östlich des ehemaligen Grenzflusses, der Ecker. Dem evangelischen Pastor Daniel Keiling zufolge hat die Zeit der Teilung und der Wende viele Lebensgeschichten in der ehemaligen Grenzregion bis heute zutiefst geprägt. "In jedem zweiten Gespräch kommen wir auf diese Zeit zu sprechen."

"20 Meter weiter war für uns die Welt zu Ende"

Auch die 80-jährige Ilse Meyer erinnert sich noch gut an das Leben im ehemaligen DDR-Sperrgebiet. Seit der Wende hat sie regelmäßig Besucher durch die Kirche geführt, und als das Fenster 1997 eingebaut wurde, auch dessen Geschichte erzählt. Sie deutet auf den Fluss, der sich in hellem Blau durch die Bildmitte schlängelt. "20 Meter weiter war für uns die Welt zu Ende", sagt sie. Heute teilt das Gewässer die Bundesländer Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.

Meyer deutet auf ein weiteres Detail im Fensterbild. Im tristen Grau der Mauer sind kleine blaue Kreise zu sehen. "Die Punkte sollen Gerüchten nach die Augen der Stasi symbolisieren", verrät die Hobby-Kirchenführerin. Wer sich damals neutral verhielt, sei nicht mit dem Staat in Konflikt gekommen, sagt sie dann. Ihr Mann habe als Landwirt auch auf den Feldern im Grenzstreifen gearbeitet. "Immer mit einem bewaffneten Soldaten der Grenzkompanie im Nacken."

Später wurde dann die "Brücke der Einheit" errichtet

Während die Grenze andernorts 1989 geöffnet wurde, sollte es in dem 900 Einwohner zählenden Abbenrode noch bis zum 27. Januar 1990 dauern. Die Brücke, die einst zum westlichen Nachbarort Lochtum führte, sei zerstört gewesen, berichtet Meyer. Zunächst entstand daher über der Ecker ein behelfsmäßiger Überweg, an dem die Ortsbürgermeister frühmorgens ein symbolisch trennendes Band durchschnitten. Später wurde dann die "Brücke der Einheit" errichtet, die die beiden Orte bis heute miteinander verbindet. Im Fensterbild symbolisiert eine Menschenfigur mit einem Stein in der Hand den Wiederaufbau der Verbindung zwischen Ost und West.

Meyer hat zahlreiche Zeitungsartikel aufgehoben, die die darauffolgende Entstehungsgeschichte des besonderen Kirchenfensters dokumentieren. Schon während der Teilung konnte der Kirchenbau aus dem 16. Jahrhundert nur mit Mühe und Not vor dem Verfall gerettet werden. Ende der 90er Jahre entschied sich ein pensionierter Schuldirektor aus Goslar, insgesamt drei Buntglasfenster für die Kirche zu stiften.

Auch die Stadtmauern Jerichos stürzten

Auf besonderen Wunsch des Stifters sollte eines der Fenster auch den Moment der Grenzöffnung zeigen. Eine Künstlerin aus dem niedersächsischen Sarstedt entwarf das Bild und verband dabei das geschichtliche Ereignis mit einem biblischen Motiv: Auf der oberen Bildhälfte spielen zwei Engel auf Posaunen, deren Klang auch die Stadtmauer von Jericho zum Einsturz gebracht haben soll. Trifft ein Sonnenstrahl auf das Fensterglas, beginnen die gelben Linien, die aus den Mündern der Menschen fließen und sich mit den Engeln verbinden, besonders zu leuchten.

Charlotte Morgenthal (epd)


Die Evangelische St. Andreas-Kirche, Lange Straße 25, 38871 Abbenrode, ist nicht regelmäßig geöffnet und nur nach vorheriger Ankündigung bei der Gemeinde zu besichtigen.