"Der 31. Oktober 2016 hat das Potenzial, historisch zu werden"

Die schwedische Erzbischöfin Antje Jackelén zum ökumensichen Gottesdienst mit dem Papst in Lund

31. Oktober 2016

Antje Jackelén, Erzbischöfin von Schweden
Erzbischöfin Antje Jackelén wünscht sich einen weiteren Schub für die Ökumene. (Foto:epd-Bild/ Holger Grafen)

Am 31. Oktober feiern Papst Franziskus und der Präsident des Lutherischen Weltbundes, der jordanische Bischof Munib A. Younan, im schwedischen Lund einen gemeinsamen Gottesdienst unter dem Motto "Vom Konflikt zur Gemeinschaft – Verbunden in Hoffnung". Das 500. Reformationsjubiläum 2017 werde ökumenisch und nicht nur in Europa, sondern weltweit begangen, sagte die Erzbischöfin der lutherischen Schwedischen Kirche, Antje Jackelén beim Interview im September.

Wie kam es zu der gemeinsamen Gedenkfeier zum Reformationsjubiläum mit Papst Franziskus in Lund? Wie laufen die Vorbereitungen?

Antje Jackelén: Der Papst kommt ja als Mitarrangeur, denn es geht hier um das gemeinsame Gedenken an 500 Jahre Reformation, und dieser Besuch ist eine Frucht von fast 50 Jahren Dialog zwischen Rom und Genf, also zwischen dem Vatikan und dem Lutherischen Weltbund. Das Ganze basiert eigentlich auf einer Schrift, die 2013 veröffentlicht wurde mit dem Titel "Vom Konflikt zur Gemeinschaft". Bei diesem Text von etwa 90 Seiten handelt es sich um die erste von Katholiken und Lutheranern gemeinsam verfasste Beschreibung der Reformation in Geschichte und Gegenwart. Und das ist, finde ich, ein Riesenschritt vorwärts.

Inwiefern?

Jackelén: Die Schrift benennt fünf Imperative, fünf gemeinsame Aufforderungen, die wirklich auch Zukunftsperspektiven aufweisen – dass zum Beispiel das Bezeugen des Evangeliums und der Dienst an der Welt etwas ist, dem wir uns gemeinsam verpflichten. Aus dieser Schrift ist die Initiative erwachsen, zum Auftakt des Jubiläumsjahres einen gemeinsamen Gebetsgottesdienst abzuhalten, und es war im Grunde der Wunsch Roms, dass dieser in Lund stattfinden soll. Der Lutherische Weltbund hatte natürlich nichts dagegen, denn er ist ja auch 1947 in Lund gegründet worden.

Wie wegweisend ist der Umstand, dass Papst Franziskus persönlich nach Lund kommt?

Jackelén: Der Lutherische Weltbund hat von vornherein sehr deutlich gemacht, dass wir das Reformationsjubiläum in ökumenischer und in globaler Verantwortung begehen wollen. Denn Reformation ist heutzutage ja kein deutsches oder europäisches Phänomen mehr, sondern ein globales. Außerdem wollen wir daran erinnern, dass Reformation nichts Abgeschlossenes ist, sondern ein laufender Prozess. Von daher ist es wichtig, dass auch Vertreter aus anderen Teilen der Welt kommen, dass es ein internationales Ereignis ist. Für uns ist außerdem wichtig zu betonen, dass Weltbund und Rom gemeinsam dazu einladen. Wir in Schweden sind die lokalen Gastgeber. Es ist in fünfhundert Jahren bestimmt noch nie geschehen, dass man gemeinsam den Reformationstag begangen hat. Im 31. Oktober 2016 steckt das Potential, historisch zu werden und vor allem Mut zu machen zum Leben in Glaube und Hoffnung.

Wie würden Sie das heutige Verhältnis zwischen Lutheranern und Katholiken in Schweden beschreiben?

Jackelén: Die Schwedische Kirche war bis zum Jahr 2000 eine Staatskirche. Religionsfreiheit haben wir eigentlich relativ spät bekommen, Anfang der 50er Jahre. Die katholische Kirche ist eine Minoritätskirche, die davon geprägt ist, dass es dort einerseits sehr viele Einwanderer gibt und andererseits Menschen, die von der Schwedischen Kirche zum katholischen Glauben konvertiert sind. Das prägt auch ein bisschen die Beziehungen: Auf der einen Seite sieht man diese Minoritäts-Majoritäts-Problematik, auf der anderen Seite die Konversionsproblematik. Denn wenn jemand "von etwas wegkonvertiert", dann hegt man oft keine so richtig sympathischen Gedanken in Bezug auf das, von dem man sich abgewendet hat. Von daher ist katholisch-lutherische Ökumene in Schweden nicht immer das Allereinfachste. Es gibt aber auch ein gutes Miteinander.

Gibt es Fortschritte? Ist zum Beispiel irgendwann ein gemeinsames Abendmahl denkbar?

Jackelén: Der Abendmahltisch der Lutherischen Kirche ist offen für alle Getauften. Das heißt, auch Katholiken dürfen bei uns das Abendmahl empfangen. In der Katholischen Kirche ist das ja, jedenfalls offiziell, anders. Auch wenn alle wissen, dass es in der Praxis vorkommt, dass jemand das Abendmahl auch in der anderen Kirche empfängt. Aber was das offizielle gemeinsame Abendmahlfeiern angeht, da wage ich nicht recht zu hoffen, dass sich da in absehbarer Zukunft sehr viel ändern wird. Doch es gibt einen Druck "von unten", und den sollte man respektieren.

Papst Franziskus, der sich sehr für Flüchtlinge einsetzt, hat immer wieder betont, man müsse mehr tun, um diesen Menschen zu helfen. Wie steht die Schwedische Kirche zum Thema Flüchtlinge?

Jackelén: Unsere Gemeinden sind sehr engagiert gewesen – vor allem im vergangenen Herbst, als so viele Flüchtlinge auf einmal kamen. Viele haben konkret geholfen, zum Beispiel Unterkünfte, Kleider und Essen bereit gestellt, mit Transporten geholfen, Aktivitäten für Kinder ins Leben gerufen, Sprachcafés initiiert. Man hat mit dem Roten Kreuz und anderen Organisationen zusammengearbeitet, da sind viele gute Dinge geschehen. Das Engagement ist weiterhin da. Manche Gemeinden senden Signale: Der Gottesdienst bei uns ist lebhafter geworden, seitdem wir neue Gesichter bei uns haben. Das darf man nicht romantisieren. Aber es gibt viele gute Begegnungen.

Was kann die Schwedische Kirche, was können Christen generell im Dialog mit Muslimen bewirken und inwieweit können sie zum Frieden beitragen?

Jackelén: Für uns als Christen ist es wichtig, für die Würde des Menschen einzustehen, denn diese gilt unabhängig von der Religion. Außerdem muss man ganz nüchtern sagen, dass Christen und Muslime mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen. Wenn man Weltfrieden haben will, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass Christen und Muslime friedlich zusammen leben können. Wenn es um Religionsdialog zum Beispiel mit den Buddhisten geht, ist dieser kaum kontrovers. Die Kontroversen brechen heutzutage immer dann auf, wenn es um den Islam geht. Es gibt auch hier in Schweden sehr viel Angst vor dem Islam, auch Hass auf den Islam.

Gibt es weitere wichtige Themen, in denen sich die Kirchen auch gemeinsam positionieren sollten?

Jackelén: Frieden und soziale Gerechtigkeit sind Themen, die immer präsent sind, und natürlich auch der Klimawandel. Die Enzyklika des Papstes, "Laudato Si", hat durchaus sehr viele positive Reaktionen hervorgerufen, besonders auch außerhalb der Kirche. Sie erschien, ein Jahr nachdem die Schwedische Bischofskonferenz ihr pastorales Schreiben zum Thema Klima veröffentlicht hatte. Wenn ich diese beiden Schriften nebeneinanderhalte, wird ersichtlich, dass sie sehr viel Gemeinsames enthalten. Wir können in dieser Hinsicht sehr gut zusammenarbeiten. Zum Beispiel nehmen beide Schriften auf den Stand der Wissenschaft Bezug, diskutieren, wie wir mit Unsicherheiten umgehen, und behandeln den Klimawandel als eine Frage der Gerechtigkeit. 

Seit dem Jahr 2000 ist die Schwedische Kirche keine Staatskirche mehr. Welche Folgen haben sich daraus ergeben, auch in Hinblick auf die Finanzen?

Jackelén: Wir sind bisher immer noch eine relativ wohlhabende Kirche, auch noch eine relativ große Kirche. Und obwohl Schweden einerseits zu den säkularisiertesten Ländern der Welt gehört, sind immer noch über 60 Prozent der Bevölkerung Mitglieder der Schwedischen Kirche. Wir haben aber eine Tendenz, kleiner zu werden – ein Trend, den wir mit vielen "Mainstream-Kirchen" in Europa teilen, und der ja nicht nur die Kirchen, sonder auch Parteien oder Gewerkschaften betrifft. Wir genießen weiterhin großes Vertrauen in der Gesellschaft, auch seitens der Regierung wurde in der Flüchtlingskrise gesagt, dass Schweden die Lage so nicht hätte meistern können, hätte man die Kirchen nicht gehabt.

Sie sind gebürtige Deutsche, kommen ursprünglich aus Herdecke in Westfalen – wo fühlen Sie sich mehr Zuhause, in Deutschland oder Schweden?

Jackelén: Ich habe ja auch noch ein Stück Heimat in den USA – in Chicago, wo ich sechs Jahre lang gelebt habe. Das "Heimat"-Gefühl ist für mich persönlich weniger mit einem geografischen Platz verbunden als mit dem Erleben "hier gehöre ich hin, ich gehöre zu diesen Menschen, gerade jetzt und hier erlebe ich ein Stück Heimat". Das kann an ganz verschiedenen Orten sein, sowohl Schweden als auch Deutschland als auch USA. Ich empfinde es so, dass Heimat eher ein Erlebnis in der Zeit ist als ein Ort im Raum.

Interview: Nicola Glass (epd)


Antje Jackelén ist seit Juni 2014 Erzbischöfin der Schwedischen Kirche. Zuvor war sie seit 2007 Bischöfin der Diözese Lund. Die 61-jährige Theologin stammt aus dem westfälischen Herdecke und studierte in Bielefeld-Bethel, Tübingen und Uppsala. Jackelén ist seit 1981 Pastorin der Schwedischen Kirche und lehrte von 2001 bis 2003 als Professorin an der Lutheran School of Theology in Chicago.

Die ökumenische Feier in Lund wird am Montag, 31. Oktober, ab 14 Uhr vom Fernsehsender Phoenix direkt übertragen.