"Luther soll als Luther erkennbar sein"

Neue Fassung der Lutherbibel geht zur Sprache des Reformators zurück

19. Oktober 2016

Unterschiedliche Ausgaben der neuen Lutherbibel
Mehrere Ausgaben der neuen Lutherbibel. (Foto: epd-Bild/ Heike Lyding)

Martin Luther ist für seine markante Sprache bekannt. Zahlreiche Wortneuschöpfungen gehen auf ihn zurück. Als er im 16. Jahrhundert die Bibel ins Deutsche übersetzte, bereicherte er die deutsche Sprache um Worte wie Lästermaul, Morgenland und Otterngezücht. Es ist eine Sprache, die auch die neu überarbeitete Lutherbibel bewahren möchte. Am 19. Oktober kommt die aktuelle Revision mit einer Erstauflage von 250.000 Exemplaren auf den Markt. Zur Übergabe an die Gemeinden ist für den 30. Oktober ein Gottesdienst in Eisenach geplant.

500 Jahre nach Beginn der Reformation erscheint eine neue Fassung der Bibel, die bewusst zur Sprache Luthers zurückkehrt. Die neue Übersetzung von Altem und Neuen Testament sowie der Apokryphen sei wieder näher an der Sprache des Reformators als frühere Revisionen, sagt der frühere Thüringer Landesbischof Christoph Kähler. Der Theologe leitete den Lenkungsausschuss, der im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die Durchsicht der Lutherbibel koordiniert hat. "Luther soll als Luther erkennbar sein", sagt er.

Wenige Fremdwörter – viel Poesie

Typisch für Luther sei es gewesen, dass er sehr wenige Fremdwörter verwendete. Und auch Poesie, wie sie beispielsweise in der Weihnachtsgeschichte nach Lukas zu erkennen ist, sei bezeichnend für den Reformator. "Luther kann dichten", sagt Kähler. "Luther hatte ein feines Gefühl für den Satzrhythmus." In der neuen Lutherbibel werde dem Rechnung getragen.

Das war nicht immer so, lassen sich doch in der Revisionsgeschichte der Lutherbibel mehrere Phasen ausmachen. "Im 19. Jahrhundert ging es um eine Vereinheitlichung der Lutherbibel", sagt Kähler. Bis dahin hatten Drucker und Verleger immer wieder Veränderungen vorgenommen, es kursierten unterschiedliche Versionen der Lutherbibel. Die kirchenamtliche Ausgabe von 1892 schuf eine einheitliche Fassung. "Im 20. Jahrhundert wurden dann sprachliche Anpassungen wegen der Verständlichkeit vorgenommen." Diese Modernisierungen finden sich auch in der Lutherbibel von 1984.

Kleine Änderungen an mehr als 15.700 Versen

"Anliegen der neuen Bibelübersetzung ist es, den hebräischen und griechischen Grundtexten besser gerecht zu werden als die Vorgänger-Revisionen", sagt die Leiterin Lektorat und Bibelübersetzung, Hannelore Jahr, von der Deutschen Bibelgesellschaft. In der neuen Übersetzung haben die 70 Exegeten, Germanisten und Liturgiewissenschaftler die Bibel anhand von hebräischen und griechischen Urtexten überprüft.

Insgesamt haben die Revisoren an mehr als 15.700 Versen mitunter kleine Änderungen vorgenommen. Es gibt aber auch Änderungen, die ins Auge fallen: In der neuen Lutherbibel lechzt der Hirsch in Psalm 42 nicht mehr nach frischem Wasser, er schreit danach. In dem Text von der Sturmstillung wird aus dem "gewaltigen Sturm" ein "großes Beben". In beiden Fällen sei die neue Bibelübersetzung genauer und dem ursprünglichen Luthertext näher, sagt Kähler.

Mitunter nahmen die Revisoren aber auch behutsame Modernisierungen vor. Denn über die Jahre hat sich auch die deutsche Sprache weiterentwickelt. Aus der Wehmutter, wie sie noch in der Version von 1984 steht, wurde daher in der neuen Übersetzung die Hebamme. Und in den Paulusbriefen gibt es nun Stellen, in denen die Gemeinde mit "Brüdern und Schwestern" angesprochen wird. Bei Gemeinden, zu denen eindeutig Männer und Frauen gehörten, müssten in der Anrede auch die Frauen einbezogen werden, sagt Kähler.

Nicht immer hatte Luther recht

Nicht immer hatte Luther freilich mit seiner Übersetzung recht. Mitunter mussten die Revisoren auch den ursprünglichen Luthertext korrigieren. "Teilweise hatte Luther schlechte Ausgangstexte", erklärt Hannelore Jahr von der Bibelgesellschaft und verweist auf eine Stelle in einem Gottesknechtslied von Jesaja (Jes 53,8). Wurde dort früher mit "mein Volk" übersetzt, steht in der neuen Übersetzung "sein Volk". Inzwischen lägen für die Übersetzungen bessere Quellen vor, sagt Jahr. So konnten in der neuen Bibelübersetzung auch die 1947 von zwei Beduinenjungen in einer Höhle unweit des Toten Meeres gefundenen Handschriften von Qumran berücksichtigt werden.

Für Altbischof Kähler waren die Änderungen sinnvoll und notwendig. Alle zwei Generationen, sagt er, müsse die Lutherübersetzung auf den Prüfstand gestellt werden. "Denn wie ein Auto alle zwei Jahre zum TÜV muss, muss auch regelmäßig überprüft werden, ob bei der Übersetzung der Lutherbibel noch alles stimmt."

Barbara Schneider (epd)


 

Textbeispiele aus unterschiedlichen Übersetzungen

Verständlich, wissenschaftlich präzise und sprachlich nah am Luthersound soll die neue Revision der Lutherbibel 2017 sein, die jetzt zur 500-Jahr-Feier der Reformation erschienen ist. Sie löst die zuletzt 1984 revidierte Lutherbibel als empfohlenen Bibeltext der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ab. Die erste vollständige Lutherbibel erschien 1534, die letzte noch von Martin Luther (1483-1546) selbst korrigierte Ausgabe 1545.

Die Änderungskriterien für die Revision 2017 sind: Genauigkeit gemessen am hebräischen beziehungsweise griechischen Urtext, Verständlichkeit im heutigen Sprachgebrauch, Rückkehr zur Luthersprache, wo unnötig modernisiert wurde. Außerdem wurden Ergänzungen und Begleittexte, die nicht zum überlieferten Bibeltext gehören, überarbeitet. Dazu gehören Zwischenüberschriften, Sacherklärungen und Landkarten.


Evangelium nach Matthäus Kapitel 8, Vers 24

Lutherbibel 1545: Und siehe, da erhub sich ein groß Ungestüm im Meer, also daß auch das Schifflein mit Wellen bedeckt ward; und er schlief.

Lutherbibel 1984: Und siehe, da erhob sich ein gewaltiger Sturm auf dem See, sodass auch das Boot von Wellen zugedeckt wurde. Er aber schlief.

Lutherbibel 2017: Und siehe, da war ein großes Beben im Meer, sodass das Boot von den Wellen bedeckt wurde. Er aber schlief.

Grund: Genauigkeit. Der im griechischen Text verwendete Begriff "seismós" meint nach Auffassung der Übersetzer eher eine Erschütterung als ein bloßes Wetterphänomen. Daher sei der deutsche Ausdruck "Beben" genauer als "Sturm". In der Bearbeitung 1984 sei man wohl davon ausgegangen, dass der Charakter eines Seebebens für den Leser nicht nachvollziehbar wäre, heißt es in der Begründung der Deutschen Bibelgesellschaft. Der von Luther selbst verwendete Begriff "Ungestüm" dagegen sei heute kaum noch verständlich.



1. Buch Mose, Kapitel 35, Vers 17

Lutherbibel 1545: Und es kam sie hart an über der Geburt. Da es ihr aber so sauer ward in der Geburt, sprach die Wehmutter zu ihr: Fürchte dich nicht, denn diesen Sohn wirst du auch haben.

Lutherbibel 1984: Da ihr aber die Geburt so schwer wurde, sprach die Wehmutter zu ihr: Fürchte dich nicht, denn auch diesmal wirst du einen Sohn haben.

Lutherbibel 2017: Da ihr aber die Geburt so schwer wurde, sprach die Hebamme zu ihr: Fürchte dich nicht, denn auch diesmal wirst du einen Sohn haben.

Grund: Verständlichkeit. Zur Zeit Luthers war der Begriff Wehmutter die gängige Bezeichnung für eine Geburtshelferin. Heute ist "Hebamme" gebräuchlich und damit verständlicher.



Brief des Apostels Paulus an die Römer, Kapitel 10, Vers 10

Lutherbibel 1545: Denn so man von Herzen glaubet, so wird man gerecht, und so man mit dem Munde bekennet, so wird man selig.

Lutherbibel 1984: Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.

Lutherbibel 2017: Denn wer mit dem Herzen glaubt, wird gerecht; und wer mit dem Munde bekennt, wird selig.

Grund: Luthersprache. Hier orientiert sich die Revision 2017 an der letzten von Luther selbst durchgesehenen Fassung von 1545. Denn mit der Rückbesinnung auf die Sprache Luthers, erklärt die Deutsche Bibelgesellschaft, gehe auch die Schärfung des theologischen Profils einher. Deshalb verwendet sie wieder für ihn zentrale theologische Begriffe wie "selig" und "Heiland", die zu einem festen Bestandteil der evangelisch-lutherischen Tradition geworden sind.



Überschriften bei Jeremia, Kapitel 6, Vers 1

Lutherbibel 1545: Babylonische Gefangenschaft und deren Ursachen

Lutherbibel 1984: Das wohlverdiente Gericht

Lutherbibel 2017: Unheil von Norden

Grund: Moralisierende Zwischenüberschrift. Die Überschrift "Das wohlverdiente Gericht" wurde 1964 eingefügt und enthalte eine moralische Wertung, die auch antijudaistisch verstanden werden könne. Die neue Überschrift soll allein den Inhalt beschreiben. In den überlieferten Bibeltexten gab es grundsätzlich keine Überschriften. Diese wurden von den jeweiligen Herausgebern als Lesehilfe eingefügt.

epd