"Im nächsten Leben werde ich Priesterin"

Dunja Hayali im Gespräch mit dem EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm

12. Oktober 2016

Portrait von Dunja Hayali und Heinrich Bedford-Strohm
Die Journalistin Dunja Hayali und der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. (Foto: Milena Schlösser)

'"Hier stehe ich, ich kann nicht anders' wäre vielleicht auch eine Art Leitspruch für mich", erklärt die Journalistin Dunja Hayali im Gespräch mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedfrod-Strohm. Das ausführliche Gespräch über biografische Wurzeln des Glaubens, Shitstorms im Internet, den Islam und die Reformation führten die beiden für den Band "Die Welt verändern", der bei der edition chrismon und im Aufbau-Verlag erschienen ist. Heute erhält Dunja Hayali den Sonderpreis des Robert Geisendörfer-Preises für ihre "offene Gesprächskultur".

Dunja Hayali: Für mich müssen Dinge greifbar sein. Ich war immer schlecht in Chemie und Physik. Wenn die Lehrer mit ihren Atomen ankamen, dachte ich immer: "Wo sind die Atome? Ich sehe nichts!" Aus dem gleichen Grund ist das mit dem Glauben für mich auch so schwer.

Heinrich Bedford-Strohm: Ich versteh schon. Aber Martin Luthers couragierte Grundhaltung, mit der müssten Sie doch eigentlich viel anfangen können.

Hayali: Sie meinen den Spruch "Hier stehe ich, ich kann nicht anders ..."?

Bedford-Strohm: "... Gott helfe mir. Amen." Man sagt Luther nach, er habe das auf dem Reichstag gesagt, als er sich weigerte, seine Thesen zu widerrufen. Im Wortlaut hat er es wohl nicht genau so gesagt – aber es könnte von ihm sein. Denn als er 1521 beim Reichstag in Worms vor dem Kaiser stand, sollte er seine Thesen widerrufen. Luther schlief eine Nacht drüber, er hatte auch Angst. Dann hat der Kaiser ihm die Frage noch mal gestellt. Die Fürsten standen drumherum, als Luther schließlich sagte: "Wenn ihr mich mit Argumenten, die auf der Bibel gründen, überzeugen könnt, dass ich falschliege, dann bin ich bereit zu widerrufen. Wenn das aber nicht der Fall ist, folge ich meinem Gewissen." Später sagte man ihm nach, er habe auch noch hinzugefügt: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders." Das "Gott helfe mir. Amen!" am Ende ist wiederum verbürgt.

Hayali: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" wäre vielleicht auch eine Art Leitspruch für mich. Denn das hat was mit der Verantwortung zu tun, die ich eben nicht nur für mich selbst spüre, sondern auch für meine Gemeinschaft. Diese Verantwortung fängt im Kleinen an: Das sind meine Freunde, meine Familie, meine Nachbarn, der Kiez, in dem ich lebe, und dann natürlich auch größere Zusammenhänge. Deshalb ist mir zum Beispiel Bildung so wichtig. Ich glaube, dass wir über Bildung sehr viel erreichen können. Durch Bildung können Menschen einen gefestigten Charakter bekommen und drehen sich vielleicht nicht ganz so leicht mit dem Wind, wenn die Zeiten sich ändern.

Bedford-Strohm: Sie haben jetzt mit modernen Worten genau das umschrieben, was mit Luthers beiden Freiheitsthesen gemeint ist: die Verantwortung für sich und für andere.

Hayali: Also, in meinem nächsten Leben werde ich Priesterin.

Bedford-Strohm: Ach, da brauchen Sie vielleicht gar nicht auf das nächste Leben zu warten. Wir haben ja das Priestertum aller Getauften. Also sind Sie es schon. Jeder Lebensweg ist offen, und nichts lässt sich ganz verschütten.


Das vollständige Gespräch ist erschienen in: Margot Käßmann, Heinrich Bedford-Strohm: Die Welt verändern. Was uns der Glaube heute zu sagen hat. Aufbau Verlag / edition chrismon, 304 Seiten mit zahlr. Abb. 22,00 Euro.

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