Im Epizentrum der Reformation

Keine Stadt ist so eng mit Luthers Wirken verknüpft wie Wittenberg

7. September 2016

Schlosskirche Wittenberg und Luthergarten
Herausgeputzt – der Turm der Schlosskirche hinter dem neuen Luthergarten. (Foto:epd-Bild/Jens Schlüter)

Wittenberg putzt sich heraus für die Reformationsfeierlichkeiten im kommenden Jahr: An Stadtkirche und Schlosskirche sind die Baugerüste gefallen. Für das Panorama in Form eines meterhohen Rundbilds des Künstlers Yadegar Asisi, das im Oktober eröffnet werden soll, steht schon das Metallgerippe. Auch am Bahnhof wird gewerkelt. Soviel Bautätigkeit war selten in der kleinen Stadt auf halber Strecke zwischen Leipzig und Berlin, in der der Reformator Martin Luther vor knapp 500 Jahren ein Weltereignis auslöste.

Schon am Ortseingang werden Besucher unmissverständlich in der "Lutherstadt Wittenberg" begrüßt. Diesen amtlichen Titel trägt die Stadt seit dem Jahr 1938. Wer nicht mit dem Auto unterwegs ist, muss sich darauf einstellen, dass vom Hauptbahnhof nur alle halbe Stunde ein Bus ins Stadtinnere fährt. Allerdings sind die Distanzen so gering, dass sich Besucher auch zu Fuß auf den Weg machen können.

Besucherrekord in Wittenberg erwartet

"Bei der Hardware, also den Bauvorhaben, sind wir auf der Zielgeraden", sagt Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos). Der Marktplatz, auf dem Denkmäler Martin Luthers und Philipp Melanchthons sowie das Alte Rathaus stehen, ist bereits ein Schmuckstück. Er ist nur durch einige Bürgerhäuser von der St. Marienkirche getrennt. Die 1439 eingeweihte Stadt- und Pfarrkirche ist das älteste Gebäude Wittenbergs. Dort predigte der Reformator.

Neben dem Reformationsaltar des Malers Lucas Cranach dem Älteren sind das kunstvoll dekorierte Taufbecken sowie die prunkvolle Orgel sehenswert. In der benachbarten Fonleichnamskapelle forderte Luther 1518 den Papst auf, ein Konzil einzuberufen, das über seinen Ketzerprozess entscheiden sollte.

In den Lutherstätten ist laut Stiftungsdirektor Stefan Rhein ein Anstieg der Besucherzahlen spürbar. Für 2017 wird ein deutlicher Rekord erwartet. Für viele Besucher ein Muss: die Schlosskirche, etwas außerhalb des Stadtzentrums. "Ein feste Burg ist unser Gott" – diese Zeile aus dem von Luther geschriebenen und komponierten Kirchenlied prangt in großen Lettern auf dem Turm der Kirche, die Unesco-Welterbestätte ist. An die Tür des Haupteingans soll der damalige Universitätsdozent und Mönch Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel geschlagen haben. Im Inneren können die Gräber des Reformators und seines Weggefährten Melanchthon besichtigt werden. Die Wiedereröffnung der renovierten Kirche wird am 2. Oktober gefeiert.

Bewegte Geschichte – schon vor der Reformation

Für viele Deutsche ist Wittenberg ein Geschichtsausflug. Für viele ausländische Gäste, etwa aus den USA oder Südkorea, ist es eine oft emotionale Pilgerreise zum Ursprungsort ihres Glaubens, zu ihren geistlichen und geistigen Wurzeln. Dieses Interesse ist auch an einer weiteren Unesco-Welterbestätte in der Collegienstraße spürbar: Im Jahr 1504 als Augustinerkloster erbaut, wurde das Gebäude später zum Wohnhaus Luthers. Heute ist das Lutherhaus das größte reformationsgeschichtliche Museum der Welt.

Rund 1.000 originale Exponate, darunter die Kanzel, von der aus Luther in der Stadtkirche predigte, erzählen vom Leben und Werk des Reformators und seinem familiären Alltag. Denn Martin Luther gab nicht nur 1524 sein Mönchsleben auf, er heiratete auch 1525 im Augustinerkloster die ehemalige Nonne Katharina von Bora. Sie bekamen drei Töchter und drei Söhne. Bis Anfang März 2017 ist die Dauerausstellung aber geschlossen, im benachbarten Augusteum ist die Sonderschau "Martin Luther. Sein Leben in Bildern" zu sehen.

Schon zur Zeit der Reformation hatte Wittenberg eine bewegte Geschichte hinter sich. Bereits der Kurfürst von Sachsen-Wittenberg, der Askanier Rudolf II., wählte die Stadt 1356 als Residenz. Die Historische Stadtinformation in der ehemaligen Franziskanerklosterkirche erzählt die Geschichte der Askanier und damit vom Ursprung des heutigen Sachsen-Anhalt.

Das Haus der Geschichte informiert über das Alltagsleben in der ehemaligen DDR und die ostdeutsche Geschichte. Nach der durch die Wende ausgelösten Abwanderung leben heute noch rund 48.000 Menschen in Wittenberg und Umgebung. Seit dem Start der Lutherdekade 2008 hat die Stadt einen Aufschwung erlebt. "Das Wittenberg des Jahres 2017 ist ein Gesamtkunstwerk", sagt Stiftungsdirektor Rhein.

David Schäfer (epd)


Die längste Zeit seines Lebens, rund 35 Jahre, verbringt Martin Luther in Wittenberg. Erstmals kommt er 1508 in die Stadt, in einer Sinnkrise stürzt er sich ins Theologiestudium. Als Mönch zieht er ins neu gebaute Augustinerkloster, das er später als Ehemann und Vater bewohnen wird. Die Überzeugung, allein aus Gnade (sola gratia) sei der Mensch gerechtfertigt, der Protest gegen den Ablasshandel (95 Thesen), der Streit mit Papst und Kaiser, die Schriften gegen Juden und die aufständigen Bauern – all das nimmt seinen Ausgang in Wittenberg.