Reformation in der Welt: Ein Kirchentag für Rio

Am brasilianischen Zuckerhut sind die Lutheraner eine geachtete Minderheit

12. August 2016

Pastor Rolf Rieck bei einer Taufe in der Luther-Gemeinde Rio de Janeiro
Pastor Rolf Rieck bei einer Taufe in der Luther-Gemeinde. (Foto: Isabela Pacini)

Der Platz des Rotes Kreuzes liegt im Zentrum von Rio de Janeiro. Ein kleiner runder Platz mit vielen Palmen, umgeben von Kopfsteinpflaster und prächtigen historischen Gebäuden. Allerdings ist die Gegend etwas heruntergekommen. Hier wohnen nur wenige, meist recht arme Menschen. In den Gebäuden sind Geschäfte oder Werkstätten untergebracht. Vom Investitionsschub der Olympischen Spiele – beispielsweise wurde die Hafengegend von Grund auf renoviert – ist hier nichts zu spüren.

Nur wenige Schritte vom Platz entfernt liegt die Paróquia Evangélica Luterana Martin Luther, die evangelisch-lutherische Martin Luther-Gemeinde. Von außen betrachtet ist es ein unauffälliges Gebäude, doch drinnen kommt man auf ein weitläufiges, wenn auch verwinkeltes Gelände. Es beherbergt eine kleine Kirche, ein Gemeindezentrum und auch einige Wohnungen. "Da wir hier im Zentrum einer Metropole sind, haben die meisten Gemeindemitglieder einen langen Anfahrtsweg, oft über 30 Minuten mit dem Auto", sagt Pastor Rolf Rieck. Nur wenige, die die Kirche frequentieren, wohnen in der Nähe. Rieck will aber auch die Menschen in der Umgebung ansprechen. "Viele, die mal vorbeigeschaut haben und sich bei uns wohlfühlen, gehören mittlerweile zu der Gemeinde", sagt der Pastor.

Die lutherische Kirche kam vor fast 190 Jahren nach Rio de Janeiro. Drei Gemeinden gibt es im Stadtgebiet – neben Riecks Gemeinde im Zentrum noch eine im Strandviertel Ipanema und eine auf der Insel Ilha do Governador. Eine vierte Gemeinde liegt in Niteroi, der Stadt auf der anderen Seite der Bahia de Guanabara, die zum Einzugsbereich der Stadt am Zuckerhut gehört.

Brasilien ist ein katholisch geprägtes Land, doch die zahlreichen protestantischen Pfingstkirchen haben Zulauf. Die lutherische Kirche kam mit deutschen Einwanderern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in das größte Land Lateinamerikas und ist bis heute vor allem im Süden, im Bundesstaat Rio Grande do Sul präsent. Auch in den Staaten Paraná, Santa Catarina, Espítito Santo und im Industriestaat São Paulo gibt es zahlreiche Gemeinden. Im restlichen Brasilien leben nur wenige Protestanten lutherischer Konfession. Sie sind in dem multikulturellen Land eine kleine, aber durchaus respektierte Minderheit.

Einmal im Monat auf Deutsch

Rolf Rieck betreut die Gemeinde am Rotkreuzplatz seit drei Jahren. Er ist groß und schlank, blickt freundlich und zugleich neugierig. Im Gottesdienst spielt Rieck manchmal selbst die Gitarre. Er kam mit seiner Frau und dem jüngsten seiner drei Söhne nach Rio und hat vor, noch einige Zeit zu bleiben. "Ich mag die Herausforderung, das Evangelium in dieser religiös sehr vielfältigen, lebendigen Stadt zu verbreiten", erklärt Rieck schmunzelnd.

Der Pastor ist "gaúcho" – so nennen sich die Menschen, die aus Rio Grande do Sul stammen. Sein deutsch ist fast fließend. Er hat es zu Hause gelernt, seine Eltern sprechen noch Deutsch, allerdings einen lokalen Akzent, der heutzutage kaum noch benutzt wird. Hochdeutsch lernte er während des Studiums an der Theologischen Hochschule in São Leopoldo.

Einmal im Monat wird der Gottesdienst auf Deutsch gehalten. Einige Mitglieder der Gemeinde haben deutsche Vorfahren und sprechen die Sprache noch. Doch Rieck betont, dass es sich um eine brasilianische Kirche handelt, die sich an die Menschen in Brasilien richtet, ohne dabei ihre deutschen Wurzeln zu vergessen. Neben den Gottesdiensten gibt es ein vielfältiges Angebot zum Mitmachen, Lernen und Spaß haben: Einen Kirchenchor, eine Bibelstunde, Frauengruppen und regelmäßig Orgelkonzerte. Das Gemeindeangebot richtet sich an alle Altersstufen: Es gibt eine Seniorengruppe, eine Einführung für Jugendliche, und in Zusammenarbeit mit einer deutschen Schule auch einmal die Woche Nachhilfe für Kinder, die in der Nähe der Kirche leben. Einige von ihnen wohnen auf der Straße. Auch mit einem Flohmarkt und einer Handwerksgruppe versucht die Gemeinde, armen Menschen in der Umgebung zu helfen.

"Die Stadt soll mitbekommen, dass wir feiern"

"Wir sind eine kleine Gemeinde, haben aber immer alle Hände voll zu tun", sagt Rolf Rieck und es ist ihm anzusehen, dass ihm das Anpacken Spaß macht. In Gedanken ist er oft schon bei 2017, beim Reformationsjubiläum, und schmiedet Pläne für die Feierlichkeiten. Die vier lutherischen Gemeinden in Rio de Janeiro haben sich bei der Organisation zusammengetan, und werden tatkräftig von der lutherischen Missouri-Synode unterstützt. Entsprechend des ökumenischen Anspruchs wird auch mit Anglikanern, Methodisten und Presbyterianern kooperiert.

Auch Repräsentanten der katholischen Kirche werden zu den Jubiläumsaktivitäten eingeladen, ebenso von den historischen Pfingstkirchen wie Assembléia de Deus. Nur mit den Neo-Pfingstkirchen wie der Igreja Universal sei kaum eine Zusammenarbeit möglich, meint Rieck mit Bedauern.

Im Mittelpunkt der Feierlichkeiten wird ein Kirchentag stehen, der im Juli kommenden Jahres in Rio stattfinden soll. "Die Veranstaltung wird nicht so groß wie in Deutschland sein, wir rechnen mit vielleicht 500 Besuchern insgesamt", dämpft Rieck die Erwartungen. Zudem sind zahlreiche spezielle Gottesdienste geplant, und eine Vortragsreihe unter dem Motto "Am Anfang war das Wort". Eine Gelegenheit für Geistliche, Professoren und Interessierte, sich über die Bedeutung der Lutherthesen 500 Jahre nach ihrem Erscheinen auseinanderzusetzen.

Besonders freut sich Rieck auf die zentrale Veranstaltung, die auf dem Cinelandia-Platz mitten im Stadtzentrum stattfinden soll. Dort werden Chöre singen, und die Botschaft der Bibel aus Sicht der lutherischen Kirche verbreiten. "Die Stadt soll mitbekommen, dass wir feiern. Sie soll an dem Jubiläum teilhaben."


Andreas Behn (evangelisch.de)