Mit Petrus im Gefangenenlager

chrismon-Leser erzählen ihre persönliche Geschichte mit der Bibel

20. Juli 2016

Bibel im Lutherhaus Eisenach
Bibel im Lutherhaus Eisenach (Foto:epd-Bild/Sascha Willms)

Die Bibel begleitet viele Menschen ein Leben lang. Sie hüten ihre Ausgaben wie Schätze, weil sich mit ihnen besondere Geschichten und Erinnerungen verbinden. Im Magazin chrismon erzählen Leser ihre persönlichen Bibel-Geschichten. So auch Rudolf Sefranek aus Roth. Für den Wehrmachtssoldaten stellte sich einst die Frage: Rauchen oder lesen?

In die linke Brusttasche der Infanteristen-Uniform der deutschen Wehrmacht passte das Neue Testament samt Psalmen gerade hinein. Die Kriegsausgabe kostete, wenn ich mich recht entsinne, 80 Pfennig. Mein Leben konnte ich am 8. Mai 1945 gerade noch über die Elbe retten, aber meine Ausrüstung und mein Neues Testament versanken. Im westlichen Kriegsgefangenenlager gab es Bewacher, die ihre Zigarettenstummel durch den Stacheldraht warfen. Wie die Hühner liefen die Unsrigen herbei und sammelten sie auf. Das nötige Zigarettenpapier hatten sie schon: Auf der Lagerwiese fand sich ein zerflattertes Neues Testament. Kameradschaftlich geteilt, erhielt jeder eine halbe Seite, ausreichend und gerade passend für eine selbstgedrehte Zigarette. Sollte ich meinen Anteil, den Anfang des 1.Petrusbriefes, rauchen oder lesen?

Ich lese zum ersten Mal die Anrede "an die Fremdlinge". Deutung meiner Existenz: fremd unter den Kameraden, die sich bestehlen, und fremd in der neuen Zeit. Was vorher gut war, gilt jetzt als böse, was böse war nun als gut. Die Wächter werfen vor unsren Augen einen Schinken lachend ins Feuer. Wir hungern. Wenn wir uns erheben wollen, wird uns schwarz vor den Augen. "Wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung" steht unten auf meinem Abrissblatt, aber – ach! – "durch die Auferstehung von den Toten". Hilfreicheres auf der Rückseite? "Enthaltet euch von fleischlichen Lüsten" Ich wage nicht, das den anderen vorzulesen. Fremde Bibel, weit weg von meinem Leben. Wir aber träumen, wie wir nach der Gefangenschaft leben, das heißt: vor allem essen werden. Ein Schnitzel zum Frühstück, nein: einen Löffel Schweineschmalz als Erstes. Ach, unsere Träume sind noch lebensfremder. Ich erinnere mich Ihrer nur mit Mühe. Meinen Bibelzettel habe ich nicht mit nach Hause gebracht, mir den knappen Text aber in den Monaten eingeprägt, ihn im Geiste bewegt, neu verstanden und bewahrt. Was für ein Schatz!

(aus: chrismon)


Haben auch Sie etwas zu Ihrer Bibel zu erzählen? Schreiben Sie es auf und schicken es – gern mit einem Foto der Bibel – bis zum 15. August an die Redaktion des Magazins "chrismon". Der Text sollte höchstens 2000 Zeichen lang sein. Eine Auswahl der Geschichten wird online, im Heft und in einem Buch veröffentlicht. Mit Namensnennung oder ohne, ganz nach Wunsch. Einsendungen postalisch unter dem Stichwort "Meine Bibel" an chrismon, Postfach 500 550, 60394 Frankfurt am Main, per E-Mail an meinebibel@chrismon.de im Internet unter www.chrismon.de/meine-bibel oder auf Facebook, Twitter und Instagram mit #meinebibel.